Datum: 29. November 2010

Karl-Heinz Gerstenberg zum Kohl-Denkmal vor der Frauenkirche

Erschienen in den DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN, 27.11.2010 …
Ein Denkmal für Helmut Kohl vor der Frauenkirche – woran soll das eigentlich erinnern? An den Altkanzler? An eine Politikerrede? Oder an einen epochalen Umbruch in der Geschichte? Die historischen Verdienste Kohls sind nicht zu leugnen, aber ein Personendenkmal entspricht nicht modernem Geschichtsbewusstsein.
Die Glorifizierung großer Herrscherpersönlichkeiten ist Ausdruck einer vordemokratischen Gedenkkultur, wie es sie in der Kaiserzeit oder auch in der DDR gab. Das Ziel der Friedlichen Revolution war ja nicht der Austausch der Denkmale nach dem Prinzip „Lenin gegen Kohl“. Personenkult ist nicht mehr zeitgemäß, und niemand kann ernsthaft behaupten, dass ein einziges Ereignis wie Kohls Rede am 19. Dezember 1989 alle Facetten einer historischen Persönlichkeit erfasst.
Soll die Person oder das Ereignis gewürdigt werden? Wenn es in erster Linie um die Person geht, dann muss eine kritische Würdigung auch andere Aspekte ihres politischen Wirkens berücksichtigen, wie z.B. die schwarzen Parteikassen in den 1990er Jahren. Eine kritiklose Verherrlichung von Politikern hat mit zeitgemäßer Betrachtung der Geschichte nichts mehr zu tun.
Geht es aber um die Würdigung der Ereignisse am 19. Dezember 1989, so sollten wir auch hier bei der ganzen Wahrheit bleiben: Anders als die Legende behauptet, war der Auftritt Kohls vor der Frauenkirche ein gut geplantes und sorgfältig inszeniertes Spektakel, das der zu diesem Zeitpunkt angeschlagene Kanzler – nach dem Mauerfall war er vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin noch ausgepfiffen worden – nicht zuletzt für den eigenen Machterhalt nutzte.
Wer an den Kampf für die Freiheit, aber auch an den im Laufe des Herbstes 1989 gewachsenen Wunsch nach deutscher Einheit angemessen erinnern will, muss vor allem  der Leistung der vielen Mutigen gedenken, die tatsächlich einiges wagten, als sie auf die Straße gingen. Dass ausgerechnet die Rede eines bundesdeutschen Politikers zum zentralen Symbol für die Tage der Friedlichen Revolution erklärt werden soll, zeugt von einem erstaunlich geringen bürgerschaftlichen Selbstbewusstsein – oder davon, dass die Dresdner CDU sich selbst ein Denkmal setzen will.
Schließlich empfiehlt sich überhaupt beim Aufstellen von Denkmalen eine gewisse Zurückhaltung. Die Würdigung wichtiger Ereignisse wie auch großer Persönlichkeiten ist eigentlich die Aufgabe späterer Generationen, denn es geht ja nicht um die Selbstbeweihräucherung von Zeitzeugen und Akteuren. Ob ein Helmut Kohl aus Stein oder Bronze Martin Luther und Friedrich August II. auf dem Neumarkt Gesellschaft leisten soll, sollten deshalb die nach uns Kommenden aus einer echten historischen Rückschau heraus entscheiden. Dem Helmut Kohl aus Fleisch und Blut jedoch seien vorerst noch viele gesunde Jahre gewünscht.