Datum: 04. Mai 2010

PM 2010-137: Vorratsdatenspeicherung – Sächsische Staatsanwaltschaften ignorieren Urteil des Bundesverfassungsgerichts – 682 Personen betroffen

Die sächsischen Staatsanwaltschaften haben sich von Telekommunikationsunternehmen vom 1.1. 2009 bis zur Nichtigerklärung der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht am 2. März 2010 von mindestens 682 Personen die Kommunikationsverbindungsdaten von Personen übermitteln lassen.
Dies geht aus der Antwort von Justizminister Dr. Jürgen Martens (FDP) auf zwei Kleine Anfragen des Abgeordneten Johannes Lichdi (GRÜNE) hervor.
"Leider nehmen die Staatsanwaltschaften das Urteil des Bundessverfassungsgerichts offenbar nicht ernst. Sie verwerten die Kommunikationsverbindungsdaten der Personen in Ermittlungsverfahren weiter, als ob nichts geschehen wäre", kritisiert Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der GRÜNEN-Fraktion. "Und das mit Rückendeckung des Justizministers."
"Ich erwarte von einem ‚liberalen‘ Justizminister, dass er sich schützend vor die Bürgerrechte stellt und sich nicht hinter ohnehin ausstehende Entscheidungen der Gerichte zu Beweisverboten wegduckt", fordert der Abgeordnete. "Justizminister und Generalstaatsanwalt müssen die weitere Verwertung in den Ermittlungsverfahren verhindern. Alles andere ist eine offene Missachtung des Bundesverfassungsgerichts."
"Die Rechtsgrundlagen für Speicherung und Übermittlung der Vorratsdaten sind mit der Nichtigerklärung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2010 schlicht und ergreifend entfallen. Speicherung und Übermittlung waren daher rechtswidrig."
Lichdi bezeichnet die Argumentation des Justizministers als "wortklauberisch und formalistisch". Dieser argumentiert in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage, das Bundesverfassungsgericht habe ja nur die Löschung der nicht übermittelten Daten verlangt und die Gerichte hätten über eventuelle Beweisverwertungsverbote zu entscheiden.
» Kleine Anfragen von Johannes Lichdi: Drs. 5/1766 und Drs. 5/1767

Hintergrund:
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 2. März die Rechtsgrundlagen zur anlaß- und verdachtslosen Speicherung aller anrufenden und angerufenen Nummern von Telefon, Handy oder SMS, der IP-Adressen samt deren Zeitpunkte (Vorratsdatenspeicherung) für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Karlsruhe hat die Telekommunikationsunternehmen verpflichtet, die gesammeltem Vorratsdaten zu löschen, was mittlerweile offenbar geschehen ist.
Die Nichtigerklärung von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht hat nach Paragraph 31 Abs. 2 Satz 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz Gesetzeskraft. Nach Paragraph 78 Bundesverfassungsgerichtsgesetz ist die nichtigerklärte Rechtsnorm von Anfang an ungültig. Das nichtige Gesetz darf von Gerichten und Verwaltungsbehörden (das sind auch Staatsanwaltschaften) nicht mehr angewendet werden (Lechner / Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, 5. Auflage 2006, R. 3, 9).