Datum: 08. November 2010

PM 2010-330: Freie Schulen – Laut Landtags-Gutachten ist auch neuer Vorschlag der Koalition nicht verfassungskonform

Auch der in der letzten Woche von den Fraktionen CDU und FDP ausgehandelte Kompromiss zu den Freien Schulen ist nicht verfassungskonform. Das geht aus dem von der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beim Juristischen Dienst des Landtages in Auftrag gegebene Gutachten hervor. Danach sind die vorgesehenen finanziellen Einschnitte und Genehmigungsvorbehalte bei den Freien Schulen nicht verfassungskonform.
"Es ist unglaublich, dass ein sächsischer Minister dem Landtag eine Gesetzesänderung vorlegt, die in weiten Teilen gegen die Verfassung verstößt", kritisiert Annekathrin Giegengack, bildungspolitische
Sprecherin der Fraktion.
"Selbst der von der Koalition gefeierte Kompromiss ist nach dem Gutachten rechtlich nicht haltbar. Ich fordere Kultusminister Roland Wöller sowie die Fraktionschefs Steffen Falth und Holger Zastrow auf, die rechtswidrigen Attacken gegen die Freien Schulen endlich zu stoppen."
"Es ist ein Irrweg, den freien Schulen den Krieg zu erklären, um staatliche Schulen zu retten. Vielmehr sollte nach den Gründen gefragt werden, warum immer mehr Eltern ihre Kinder an Freien Schulen anmelden", so Giegengack.
"Die von Kultusminister Wöller mit dem Vorwurf des Kannibalismus eingeleitete Attacke gegen die Freien Schulen hat zu einem großen Vertrauensverlust bei Eltern, Lehrern und Schülern geführt. Nach dem Desaster um die Lehrerteilzeit ist dies der zweite große Fehltritt des Ministers in einem Jahr. Da stellt sich die Frage, ob er seiner Aufgabe überhaupt gewachsen ist."
Ein Trost ist für Giegengack, "dass der juristische Dienst des Landtages die Unabhängigkeit besaß, diese Verfassungswidrigkeit nachzuweisen."
Zu den wichtigsten Ergebnissen des Gutachtens im Einzelnen:
Nach Auffassung des Juristischen Dienstes ist es grundsätzlich verfassungswidrig, notwendige Kürzungen allein im Bereich freier Schulen vorzunehmen, ohne dass es zugleich zu Kürzungen im Bereich staatlicher Schulen kommt. «Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, die schlechte Haushaltslage dazu zu verwenden, einseitig die privaten Ersatzschulen zu benachteiligen. […] Allein zur Vermeidung einer Konkurrenz durch Schulen in Freier Trägerschaft darf eine Begrenzung der Gründungsfreiheit nicht erfolgen.» Vor diesem Hintergrund wird das Vorhaben, durch eine Verlängerung der Anerkennungsfrist und die Absenkung der staatlichen Förderung die Neugründung von Freien Schulen zu erschweren, als nicht rechtskonform eingestuft.
Unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes wird zur geplanten Verlängerung der Anerkennungsfrist von drei auf vier Jahre festgestellt: «Diese Erwägung begründet die Verpflichtung des Gesetzgebers, der Schule einen nachträglichen Anteil an den Kosten der Gründungsjahre zu erstatten, wenn der Erfolgsnachweis erbracht wird. Ein erhöhter Eigenanteil der Freien Schulen für diesen Zeitraum ist aber zulässig. Sehen die Landesgesetze eine solche Erstattung nicht vor, so ist in der Regel davon auszugehen, dass eine verfassungswidrige faktische Einrichtungssperre gegeben ist.»
Zur geplanten Absenkung des Berechnungsfaktors der staatlichen Förderung von 0,9 auf 0,8 bei Nichterreichung der für staatliche Schulen geltenden Mindestschülerzahl wird ausgeführt: «Unabhängig davon ergibt sich die Verfassungswidrigkeit auch aus der Tatsache, dass allein nur neu gegründete Ersatzschulen die verschärften Voraussetzungen zur Finanzierung erfüllen müssen. Bei seiner Förderung muss der Staat alle Ersatzschulen nach Maßgabe des allgemeinen Gleichheitssatzes gleich behandeln. Unterschiede in der Art und Höhe der Förderung müssen sachlich einleuchtend und angemessen begründet sein, etwa in einem besonderen Status des Lehrpersonals oder in besonders förderungswürdigen kostenintensiven Lehrmethoden. Unzulässig ist dagegen eine geringere Förderung neuer privater Ersatzschulen, um den Staatshaushalt zu schonen.»
Hinsichtlich des Wegfalls der Schulgelderstattung für Kinder einkommensschwacher Eltern kommt das Gutachten zu folgender Einschätzung: «Grundsätzlich besteht aufgrund des weiten Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers zur Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft keine Verpflichtung der Schulgelderstattung. Das System der Finanzierung muss jedoch so ausgelegt sein, dass bei einem Verzicht auf die Erstattung des Schulgeldes, so wie es der Gesetzentwurf vorsieht, in anderer Art und Weise die Gesamtfinanzierung der Schulen in freier Trägerschaft gewährleistet ist. […] Ist jedoch die Gesamtfinanzierung nicht mehr auskömmlich im Sinne der dargestellten verfassungsrechtlichen Vorgaben, so liegt eine verfassungswidrige Gesetzesänderung vor.»