Datum: 10. März 2011

PM 2011-061: Ulbig-Interview – GRÜNE: Nicht mit Gerichtsschelte von eigenen Fehlern ablenken

Zum Interview des sächsischen Innenministers Markus Ulbig (CDU) in der aktuellen Sachsen-Ausgabe der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ erklärt Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag:
"Die Tonlage von Innenministers Markus Ulbig unterscheidet sich angenehm von der Kampfrhetorik anderer Vertreter der Koalition. Doch der Innenminister sollte die Fehler der Polizei nicht den Gerichten in die Schuhe schieben."
"Das Verwaltungsgericht (VG) Dresden hat der Polizei in seiner Entscheidung vom 20. Januar 2011 zur Nazidemo am Bahnhof Dresden-Neustadt vom 13.02.2010 keineswegs die Trennung der Demonstrationslager durch die Elbe vorgeschrieben, wie Ulbig im ZEIT-Interview nahelegt. Vielmehr hat der Dresdner Polizeipräsident Dieter Hanitsch dem Gericht das ‚Trennungsprinzip‘ als polizeiliche Taktik genannt, ohne dafür eine Rechtsgrundlage angeben zu können. Die unzureichenden Erklärungen der Polizei haben dem Gericht gar keine andere Wahl gelassen, als den Nazis Recht zu geben."
"Auch die Stadtverwaltung Chemnitz ließ dem VG Chemnitz keine andere Wahl, als den Naziaufmarsch am 5. März in Chemnitz zuzulassen, da sie noch nicht einmal im Ansatz eine Gefahrenprognose vorgelegt hatte."
"Leider haben es die sächsischen Verwaltungsgerichte bisher versäumt, die grundrechtliche Konfliktlage zwischen dem Demonstrationsrecht der Rechtsextremisten und dem Grundrecht auf Protest in Sicht- und Hörweite anzuerkennen und nach den anerkannten Regeln bei Grundrechtskollisionen zu lösen. Der Protest in Sicht- und Hörweite ist eine legale Grundrechtsausübung, selbst eine Blockade fällt zunächst unter den Schutz der Versammlungsfreiheit."
"Verfassungsrechtlich gibt es kein ‚Trennungsgebot‘. Es handelt sich um eine polizeitaktisch motivierte Erfindung des damaligen Innenministers Thomas de Maizière."
"Die Gleichung ‚Gegendemo = Blockade = strafbar‘, mit der Polizeiführer vor Anti-Nazidemonstrationen die Bürgerinnen und Bürger von der Teilnahme abschrecken wollen, verkennt die Reichweite des Grundrechts der Protestierer."

Hintergrund:
Das Bundesverfassungsgericht hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Beschwerde des Kreisverbandes Dresden gegen das Verbot seiner Versammlung an der Trümmerfrau mit den Anmeldern und Versammlungsleitern Jens Hoffsommer, Sprecher der GRÜNEN-Stadtratsfraktion Dresden und Johannes Lichdi abgewiesen. Der GRÜNE-Kreisverband hat entschieden, die Angelegenheit im Hauptsacheverfahren weiter zu verfolgen. » Urteil des VG Dresden vom 20. Januar 2011 zum 13.02.2010 (PDF)

» Urteil des VG Chemnitz vom 2. März 2011 (PDF)