PM 2011-071: „Inklusion ist machbar, wenn sie gewollt ist“ – Gutachten gibt Empfehlungen für Ausbau des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nichtbehinderten Kindern
Elke Herrmann, sozialpolitische Sprecherin der GRÜNEN im Sächsischen Landtag, stellte heute gemeinsam mit dem Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Ulf Preuss-Lausitz ein Gutachten zu Stand und Perspektiven schulischer Inklusion in Sachsen vor. Die Studie gibt konkrete Empfehlungen zum Ausbau des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nichtbehinderten Kindern.
Preuss-Lausitz, Mitglied des Expertenkreises der deutschen UNESCO-Kommission zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, bewertet die bisherige Politik der Staatsregierung kritisch: "Das Festhalten an ihrem bisherigen Förderschulsystems mit wenig gemeinsamer Erziehung steht eindeutig im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention."
Die Studie stellt fest: "Sachsen hat einen außerordentlich hohen Anteil jener Kinder, denen sonderpädagogischer Förderbedarf zugeschrieben wird", so Preuss-Lausitz. Die sächsische Förderquote liegt doppelt so hoch wie in vergleichbaren alten Bundesländern. Der Wissenschaftler bemängelt zudem: "Wer in Sachsen in der Förderschule lernt, hat offenkundig kaum eine Chance, wieder mit den anderen Kindern des Wohnumfelds zur Schule zu gehen."
Preuss-Lausitz hat Empfehlungen erarbeitet, mit denen ab dem Schuljahr 2011/12 bis zum Jahr 2018 bis zu 85 Prozent aller Kinder mit Förderbedarf (europäische Inklusionsquote) eine Regelschule besuchen können. Im Gutachten schlägt er vor, dass die Staatsregierung einen Aktionsplan Inklusion erarbeitet. Der Rechtsanspruch behinderter Kinder auf gemeinsamen Unterricht muss sofort gesetzlich verankert werden. In den Förderschwerpunkten Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache sollen Schüler und Lehrer jahrgangsweise an die Regelschulen wechseln. Für die übrigen Förderschwerpunkte soll es ein Wahlrecht zwischen Förderschule und Regelschule geben. Das setzt voraus, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Dem Experten zufolge ist das gegenwärtige Doppelsystem sonderpädagogischer Förderung die teuerste Finanzvariante: "Durch die wohnortnahe inklusive Unterrichtung und die Schließung oder Umnutzung von Förderschulen ergeben sich bei einer Verlagerung der personellen Ressourcen deutliche Kostenverringerungen, bei Steigerung der pädagogischen Qualität."
Elke Herrmann fordert nun Konsequenzen: "Das Gutachten zeigt eines ganz klar: Inklusion ist machbar, wenn sie gewollt ist."
Die Sozialpolitikerin fordert für Sachsen einen politischen Grundkonsens über Inklusion, der in Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen bereits fraktionsübergreifend getragen wird: "Es muss einen individuellen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht an der Regelschule geben. Auch an Mittelschule und Gymnasium muss endlich der Unterricht mit unterschiedlichen Lernzielen erlaubt werden. Wir brauchen einen verbindlichen Aktionsplan für den Freistaat und die Kommunen."
Herrmann sieht nun die Staatsregierung am Zug: "Viele Kollegen aus allen demokratischen Fraktionen stimmen mit uns überein, dass endlich etwas passieren muss, um die UN-Behindertenrechtskonvention im Schulbereich umzusetzen. Die Staatsregierung muss ihre deutschlandweit einmalige Blockadehaltung aufgeben.“
» Inklusionsgutachten Zusammenfassung (PDF)
» Gutachten zum Stand und zu den Perspektiven Inklusiver sonderpädagogischer Förderung in Sachsen (PDF)