PM 2012-028: Aktuelle Debatte der GRÜNEN zu Antibiotikaeinsatz und Multiresistenzen bei Mensch und Tier im Landtag
Zur Aktuellen Debatte der GRÜNEN-Fraktion "Gefahr für Mensch und Tier – Sachsen braucht Regeln für Antibiotikaeinsatz" erklären Annekathrin Giegengack, gesundheitspolitische Sprecherin der GRÜNEN-Fraktion, und Michael Weichert, landwirtschaftspolitischer Sprecher der GRÜNEN-Fraktion:
"Es ist kein Geheimnis mehr, dass Antibiotika-Resistenzen ständig zunehmen und damit ein sehr ernstes medizinisches Problem sind. Schon heute sterben in Deutschland jährlich rund 15.000 Menschen an Infektionen mit resistenten Keimen. Das entspricht der Anzahl Todesfälle an einem Mamakarzinom."
"Für diese Entwicklung gibt es drei Gründe: Unwissenheit, Nachlässigkeit und Fahrlässigkeit."
"Unwissenheit ist die Ursache für den unnötigem Einsatz von Antibiotika z.B. bei viralen Infekten. Hinzu kommen falsche Verschreibungspraxis sowie die unzuverlässige Medikamenteneinnahme aufgrund fehlender Aufklärung. All dies begünstigt die Entstehung multiresistenter Keime, gegen die im wahrsten Sinne des Wortes kein Kraut mehr gewachsen ist."
"Auch das neue schwarz-gelbe Bundesinfektionsschutzgesetz bringt hier keine Abhilfe, da die Antibiotikaverschreibung im ambulanten Bereich, dem größten ‚Einsatzgebiet‘, weiterhin nicht erfasst und überwacht werden muss. Gemeinwohlinteressen hat man hier den Lobbyinteressen der Pharmaindustrie geopfert, die nicht daran interessiert ist, den Antibiotikaverbrauch einzudämmen."
"Nachholebedarf gibt es auch bei der Hygiene in Krankenhäusern. Durch die Streichung der beiden Lehrstühle für Hygiene und Umweltmedizin in Dresden und Leipzig können sächsische Studenten Hygiene im Studium nicht mehr hören. Wer soll die Aufgabe der Überwachung der medizinischen Einrichtungen in den Gesundheitsämtern noch übernehmen? Sachsen hat noch 19 tätige Hygieniker, davon arbeiten acht in 13 Kreisen und kreisfreien Städten."
"All das macht einen fassungslos: Unsere Medizin ist hochspezialisiert und kann Herzen verpflanzen. Aber weil wir mit dem Einsatz von Antibiotika so fahrlässig sind, laufen wir Gefahr im 21. Jahrhundert wieder an einer Lungenentzündung zu sterben. Eine der wirksamsten Waffen der Medizin verliert durch unsere Gedankenlosigkeit ihre Heilwirkung."
Nach Ansicht der GRÜNEN-Fraktion muss der Einsatz von Antibiotika in allen Bereichen drastisch gesenkt werden. Dazu gehört insbesondere der massenhafte Gebrauch in der Tierhaltung, der bislang zu Unrecht völlig unterbelichtet war.
Hierzu Michael Weichert, agrarpolitischer Sprecher der GRÜNEN-Fraktion:
"Jahrelang haben uns Regierung und Geflügelwirtschaft gesagt, es gäbe keinen flächendeckenden Antibiotikaeinsatz in der Tiermast. Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Nach einer Studie aus Nordrhein-Westfalen zum Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast wurden 96,4 Prozent aller Tiere antibiotisch behandelt. Sie bekamen bis zu acht verschiedene Wirkstoffe pro Mastdurchgang, wobei sie teilweise nur ein bis zwei Tage behandelt wurden. Diese Praxis verstößt eindeutig gegen die Zulassungsbedingungen der Arzneimittel und führt zu Multiresistenzen. Obwohl seit 2006 der Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer EU-weit verboten ist, nimmt deren Einsatz dramatisch zu."
"Die Massentierhaltung ist ohne massiven Einsatz von Antibiotika gar nicht möglich. Wenn es verboten ist, Antibiotika prophylaktisch zu verschreiben und zu verabreichen, müssen wohl 96 Prozent der Masthähnchen in NRW krank sein. Für mich heißt das, die Haltung des Geflügels in Tierfabriken ist nicht artgerecht und macht die Tiere krank. Darum fordern wir mit unserem Antrag die Sächsische Staatsregierung auf, die Subventionierung der Massentierhaltung endlich zu beenden und damit zu beginnen, eine artgerechte Tierhaltung zu fördern. Außerdem sollten wir uns ein Beispiel an NRW nehmen und eine landesweite Datenbank einrichten, an die Tierhalter und Tierärzte jede Antibiotikagabe melden müssen. Nur so können die Kontrollbehörden dauerhaft überwachen und bei Auffälligkeiten schnell reagieren."
"Verbraucherschutzministerin Christine Clauß (CDU) ist in der Pflicht, endlich zu reagieren. Sie muss jetzt die miserable Datenlage in Sachsen zum Anlass von Untersuchungen vor Ort nehmen und einen Reduktionsplan zum Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung erarbeiten, der mehr als heiße Luft beinhaltet. Bisher hat die Staatsregierung dieses brisante Thema verschlafen."
"Auf Bundesebene sind ebenfalls schnelle Veränderungen nötig. Es kann nicht sein, dass Tierärzte Antibiotika nicht nur verschreiben, sondern gleichzeitig mit ihnen handeln. Der Tierarzt kauft die Flasche Antibiotika für 10 Euro und verkauft sie für 15 Euro an den Tierzüchter. Kauft der Arzt den Pharmakonzernen gleich 1000 Flaschen ab, bezahlt er nur noch 3,50 Euro pro Flasche. Er verdient dann bis zu 80 Prozent seines Einkommens mit dem Medikamentenhandel. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor und muss ebenso wie in der Humanmedizin verboten werden."