Datum: 18. April 2012

PM 2012-124: Ministerin attestiert sich selbst Fehlverhalten als Bildungsagenturchefin

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage (Drs. 5/8627) der GRÜNEN-Landtagsfraktion räumt die neue Kultusministerin Brunhild Kurth (parteilos) ein, dass die Bildungsagentur Chemnitz, ihre ehemalige Wirkungsstätte, über Jahre Schulfeststellungsbescheide erlassen hat, mit denen Kinder zum Besuch der Förderschule verpflichtet wurden, obwohl sie den Voraussetzung der Förderschule gar nicht entsprachen.
"Anlass zu der Kleinen Anfrage war die Tatsache, dass die Stadt Chemnitz vielen Eltern von Kindern der Sprachheilschule Chemnitz nach Prüfung der Voraussetzungen seit Februar keine Eingliederungshilfe mehr zahlt. Nach den Vorschriften der Eingliederungshilfeverordnung stehen diese Leistungen nur Personen zu, die als wesentlich behindert gelten", erklärt Annekathrin Giegengack, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion.
"Warum diese Kinder trotzdem an eine Förderschule verpflichtet wurden, begründet die Ministerin damit, dass die dort herrschenden Voraussetzungen besser dem individuellen Förderbedarf der Kinder gerecht werden. Dabei sind die Förderschulen die einzige Schulart in Sachsen, für die sogar offiziell Lehrermangel eingeräumt wird. Im Gegensatz zu allen anderen Schularten ist der Grundbereich an den Förderschulen seit Jahren nicht mehr gesichert und der Unterrichtsausfall ist von vornherein eingeplant. Sollten die Regelschulen am Ende einfach nur von den ’schwierigen‘ Kindern entlastet werden?", fragt Giegengack.
Allein in diesem Schuljahr sind 62 Lehrerstellen an Förderschulen offiziell unbesetzt.
"Hat hier die Ministerialbürokratie die neue Ministerin vorgeführt und sich selbst Fehlverhalten als Bildungsagenturchefin attestieren lassen? Oder sind das die Wetterleuchten einer neuen Strategie der Ministerin im Umgang mit behinderten Kindern?", will die grüne Bildungspolitikerin jetzt wissen. "Bei dem Entzug des Status ‚wesentlich behindert‘ gewinnen Land und Kommune gleichermaßen. Das Land muss die Kinder nun nicht mehr offiziell nach UN Behindertenrechtskonvention integrieren, da sie ja gar nicht behindert sind, und die Kommune spart das Geld für die Eingliederungshilfe.
Eine Nachfrage soll diesbezüglich Klarheit bringen.
"Warum wurden in den letzten Jahren so viele Kinder von der Bildungsagentur an Förderschulen verwiesen, wenn die Voraussetzungen gar nicht gegeben waren? Wie wurde dem Förderbedarf der Kinder entsprochen, bei der schwierigen Lehrersituation an den Förderschulen? Gab es vor der Entscheidung, keine Eingliederungshilfe mehr zu zahlen, Absprachen zwischen der Stadt Chemnitz und der Bildungsagentur und wird dies noch mehr Kinder an Förderschulen treffen?"

Hintergrund:

» Kleine Anfrage "Ganztagsbetreuung an der Sprachheilschule Chemnitz" (Drs. 5/8627)
» Kleine Anfrage Nachfrage zu Drs. 5/8627 (Drs. 5/8860)
Schulordnung Förderschulen
§ 8 Aufgabe und Aufbau der Sprachheilschule
(1) An der Sprachheilschule werden Schüler mit Förderbedarf im Förderschwerpunkt Sprache unterrichtet und betreut, deren Fähigkeit zur Kommunikation aufgrund schwerwiegender Stimm- und Artikulationsstörungen, Störungen im Redefluss, schwerer Sprachstörungen oder verzögerter Sprachentwicklung so beträchtlich eingeschränkt ist, dass sie einer vertieften und ganzheitlichen Förderung bedürfen.
Eingliederungshilfe-Verordnung
§ 1 Körperlich wesentlich behinderte Menschen
(6) Personen, die nicht sprechen können, Seelentauben und Hörstummen, Personen mit erheblichen Stimmstörungen sowie Personen, die stark stammeln, stark stottern oder deren Sprache stark unartikuliert ist.