PM 2012-265: 800 Einzelakten aus dem Bereich Rechtsextremismus vom Verfassungsschutz vernichtet
Zwischen dem 4. November 2011 und dem 19. Juli 2012 sind im Landesamt für Verfassungsschutz rund 5.000 Aktenstücke vernichtet worden, davon 800 Einzelstücke aus dem Bereich Rechtsextremismus. Das geht aus der Antwort der Staatregierung auf Anfragen des Abgeordneten Johannes Lichdi (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hervor.
"Es ist schon auffällig, wenn ausgerechnet direkt nach dem Bekanntwerden des NSU-Terrors dermaßen viele Aktenstücke vernichtet werden. Entweder regiert in der Behörde die Inkompetenz oder man muss argwöhnen, dass hier schnell Akten bereinigt wurden", erklärt Lichdi, der auch rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist.
"Der nunmehr vom Staatssekretär des Innern, Michael Wilhelm, veranlasste Aktenvernichtungsstopp kommt viel zu spät", so Lichdi.
Wilhelm hatte dem NSU-Untersuchungsausschuss in der vergangenen Woche mitgeteilt, dass er eine vorübergehende Aussetzung des Löschens von Dateien sowie der Vernichtung von Akten der Polizei und des Verfassungsschutzes mit Bezug zum Rechtsterrorismus angeordnet habe.
"Im Landesamt für Verfassungsschutz wurden wegen der Aktenvernichtungen weder Strafverfahren noch Disziplinarverfahren eingeleitet. Allein aufgrund meiner Anzeige muss die Staatsanwaltschaft Dresden wegen Verwahrungsbruchs nach Paragraf 133 Strafgesetzbuch gegen den ehemaligen Verfassungsschutz-Chef Reinhard Boos und seinen Abteilungsleiter Dr. Olaf Vahrenholdt ermitteln. Die Vernichtung von Akten der Stufen ‚VS-vertraulich‘ und ‚GEHEIM‘ musste nach Paragraf 13, Absatz 1 Registraturanweisung, wie in der Antwort zu meiner Anfrage (Drs. 5/9772) erstmals mitgeteilt wird, vom Abteilungsleiter angeordnet werden, also von Dr. Vahrenholdt. Paragraf 13, Absatz 1 der Registraturanweisung bestätigt zudem, dass Vernichtungen derartig eingestufter Verschlusssachen nur nach Prüfung der Vollständigkeit der Verschlusssache rechtmäßig sind."
"Das Innenministerium hält entgegen der Rechtsauffassung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten an seiner Auffassung fest, dass die Aktenvernichtung mit den Paragrafen 7 und 14 des Sächsisches Verfassungsschutzgesetz vereinbar gewesen sei, weil die Aktenstücke >>nicht mehr erforderlich<< im Sinne des Gesetzes gewesen seien (Drs. 5/9772). Wenn das Ministerium in seiner Antwort aber auf die maßgebliche Streitfrage mit dem Datenschutzbeauftragten, ob denn die Vernichtung einzelner Stücke aus einer Gesamtakte gesetzlich zulässig sei, vorsichtshalber nicht eingeht, lässt sie erkennen, dass sie ihre eigene Rechtsposition für unhaltbar hält", schätzt der Abgeordnete ein.
Nach Angaben des Innenministeriums handelt es sich bei den vernichteten Unterlagen beispielsweise um Ermittlungsberichte zu >>Teilnehmern von Skinheadkonzerten, Doppelausdrucke und Personenakten zu nicht mehr relevanten Personen<< aus dem Zeitraum zwischen August 1992 und Juni 2012 (Drs. 5/9773). Weiterhin bestünden keine Anhaltspunkte, dass im Landesamt für Verfassungsschutz >>nach dem 4.11.2011 Akten oder Aktenteile vernichtet wurden, die Erkenntnisse mit Bezug zur Terrorzelle ‚NSU‘ enthalten<< hätten.
"Das ist eine Behauptung, die die Staatsregierung aufgrund der Vernichtung nicht beweisen kann", so Lichdi. "Wenn beispielsweise Berichte zu Skinheadkonzerten vernichtet worden sind, ist darauf hinzuweisen, dass sich das NSU-Mitglied Uwe Mundlos wohl auf Skinheadkonzerten mit Unterstützern aus der blood-and-honour-Szene Chemnitz getroffen hat" (Schäfer-Bericht S. 35).
"Die Antworten der Staatsregierung auf meine kleinen Anfragen (Drs. 5/9772, 5/9773 und 5/9794) tragen kaum zur Aufklärung des Sachverhaltes bei. Wenn der neue Präsident des Landesamts diese Antworten verwaltungsintern verantwortet, hat er sein Versprechen einer transparenteren Behörde schon widerlegt."
» Kleine Anfrage "Maßnahmen aufgrund der Aktenvernichtung im Landesamt für Verfassungsschutz" (Drs 5/9772)
» Kleine Anfrage "Erkenntnisse der Staatsregierung zur Aktenvernichtung im Landesamt für Verfassungsschutz" (Drs 5/9773)
» Kleine Anfrage "’Rücktritt‘ des LfV-Präsidenten Boos: Disziplinarverfahren gegen MitarbeiterInnen des Landesamtes für Verfassungsschutz" (Drs 5/9794)