Datum: 19. September 2012

PM 2012-295: Staatsanwaltschaft Dresden verweigert Ermittlungen wegen Aktenvernichtungen im Landesamt für Verfassungsschutz

Die Staatsanwaltschaft Dresden hat mit Schreiben vom 13. September 2012 mitgeteilt, dass der Strafanzeige des Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 24.07.2012 "keine Folge gegeben" wird.
Zur Begründung führt die Staatsanwaltschaft aus, dass aufgrund der durch die allgemeine Berichterstattung, insbesondere auch der Presseerklärung des Landesamtes für Verfassungsschutz, vom 14.07.2012 gewonnenen Erkenntnisse, keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des ehemaligen Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutzes (LfV) Reinhard Boos, des Abteilungsleiters Dr. Olaf Vahrenhold oder anderer zu erkennen sei. Es sei nicht ersichtlich, dass die den Bereich Rechtsextremismus betreffenden Aktenstücke nicht hätten vernichtet werden dürfen.
"Die Weigerung der Staatsanwaltschaft, überhaupt Ermittlungen aufzunehmen und den Sachverhalt aufzuklären, grenzt an Rechtsverweigerung", erklärt Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.
"Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Staatsanwaltschaft zur Begründung des fehlenden Tatverdachtes im Wesentlichen auf eine den Vorwurf zurückweisende Pressemitteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz selbst verweist und es nach kriminalistischen Erfahrungen nicht für möglich hält, dass eine Straftat vorliegt."
"Dass die Aktenvernichtung im Landesamt für Verfassungsschutz kein gewöhnlicher Vorgang ist, zeigt allein schon die Prüfung des Landesamtes durch den sächsischen Datenschutzbeauftragten, der die Vernichtung von einzelnen Aktenteilen nicht durch die gesetzlichen Löschungsvorschriften gedeckt hält", so Lichdi.
"Es ist absurd, vom Anzeigenerstatter Nachweise dafür zu verlangen, dass die aus dem Bereich Rechtsextremismus vernichteten Akten einen Bezug zum NSU gehabt hätten. Dieser Nachweis kann aufgrund der Aktenvernichtung nicht erbracht werden. Die Staatsanwaltschaft ist aber nicht erst dann verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen, wenn die Beweislage erdrückend ist. Es ist nicht einleuchtend, warum die vorliegenden Indizien nicht zur Grundlage weiterer Ermittlungen gemacht hätten werden können."
Die Staatsregierung hat inzwischen bestätigt, dass vom 4. November 2011, also seit Bekanntwerden des NSU, bis zum 19. Juli 2012 insgesamt 5.000 Aktenstücke aus 190 Akten vernichtet wurden. Davon 800 Einzelstücke aus dem Bereich Rechtsextremismus. Nach Angaben des Innenministeriums handelt es sich bei den vernichteten Unterlagen beispielsweise um Ermittlungsberichte zu >>Teilnehmern von Skinheadkonzerten, Doppelausdrucke und Personenakten zu nicht mehr relevanten Personen<< aus dem Zeitraum zwischen August 1992 und Juni 2012 (Drs. 5/9773).
"Wenn beispielsweise Berichte zu Skinheadkonzerten vernichtet worden sind, ist darauf hinzuweisen, dass sich das NSU-Mitglied Uwe Mundlos laut Angaben aus dem sog. ‚Schäfer-Bericht‘ (Thüringen) wohl auf Skinheadkonzerten mit Unterstützern aus der Blood-and-Honour-Szene Chemnitz getroffen hat", erläutert der Abgeordnete. 
» Schreiben der Staatsanwaltschaft Dresden vom 13. Sept. 2012
» Strafanzeige des Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi vom 24.07.2012
» Kleine Anfrage "Erkenntnisse der Staatsregierung zur Aktenvernichtung im Landesamt für Verfassungsschutz" (Drs 5/9773)
» Schäfer-Bericht (Randzahl 270, S. 35)

Hintergrund:
§ 7 des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes (SächsVSG) regelt u. a. die Löschung und Sperrung personenbezogener Daten.
Gemäß Absatz 2 der Regelung sind personenbezogene Daten in Dateien zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Dies ist regelmäßig zu prüfen. Spätestens nach 10 Jahren bzw. in manchen Fällen nach 15 Jahren ist zu löschen, Absatz 3.
Anders bei Akten: Sind die dort enthaltenen personenbezogenen Daten nicht mehr für die Aufgabenerfüllung erforderlich, sind die Daten (nicht die Akten) zu sperren, Absatz 4. Das bedeutet, dass die weitere Verarbeitung der Daten eingeschränkt ist. In der Regel wird dazu ein sog. Sperrvermerk auf dem jeweiligen Aktenblatt angebracht. Diese Aktenblätter werden weder entfernt noch sonst unkenntlich gemacht.
Ausnahmsweise dürfen Akten, in denen personenbezogene Daten gespeichert sind, auch vernichtet werden. Dafür müssen zwei Voraussetzungen vorliegen: 1. die gesamte Akte (also nicht nur einzelne Bestandteile) darf 2. nicht mehr zur Aufgabenerfüllung benötigt werden. Das bedeutet, dass nur ganze Akten, nicht bloß Aktenteile, vernichtet werden dürfen.