PM 2012-322: Bedeutungsverlust der NPD wird durch Aufwind der neonationalsozialistischen Kameradschaftsszene kompensiert
Die Faktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag hat heute die Ergebnisse ihrer Großen Anfrage ‚Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen und Organisationen im Freistaat Sachsen‘ (Drs. 5/9712) vorgestellt.
Dazu erklärt Miro Jennerjahn, demokratiepolitischer Sprecher der Fraktion:
"Sachsen ist leider nach wie vor eine der rechtsextremistischen Hochburgen bundesweit. Dies gilt sowohl für das parteigebundene Spektrum als auch die so genannte freie Szene. Neben einer vergleichsweise starken parteipolitischen Verankerung durch die NPD-Landtagsfraktion ist Sachsen auch eines der bundesweit bedeutsamen Zentren für den Vertrieb rechtsextremer Musik und von Neonazi-Devotionalien."
"Auch wenn die NPD im Bundesvergleich in Sachsen nach wir vor stark ist, so steckt sie doch in der Krise. Mitgliederschwund und Mobilisierungsprobleme insbesondere bei jüngeren Menschen, machen der NPD sichtlich zu schaffen. Hier können wir vorsichtig optimistisch sein, dass die NPD 2014 nicht erneut in den Sächsischen Landtag einzieht."
"Der Bedeutungsverlust der NPD wird jedoch kompensiert durch die freie Szene. Insbesondere die klar neonationalsozialistische Kameradschaftsszene befindet sich in Sachsen im Aufwind. Darin zeigt sich, dass eine Schwäche der NPD keinesfalls gleichbedeutend ist, mit einer Schwäche der extremen Rechten insgesamt. Daher darf auch nicht die NPD allein im Blickpunkt der Aufmerksamkeit stehen. So wäre es wichtig die gesellschaftlichen Anknüpfungspunkte der nicht parteiförmig organisierten Neonazis zu untersuchen. Leider bleiben genau an der Stelle die Antworten der Staatsregierung auf unsere große Anfrage sehr vage."
"Nazi-Musik und Fanartikel haben sich in Sachsen zum Millionengeschäft entwickelt. Mehr als zehn Nazi-Versandhandel sind in Sachsen aktiv, darunter mehrere bundesweit bedeutsame Unternehmen. Der Jahresumsatz wird gegenwärtig auf ca. 3,5 Millionen Euro geschätzt. Zusammen mit der anhaltend hohen Zahl von 40 bis 50 Neonazi-Konzerten jährlich im Freistaat Sachsen, ist davon auszugehen, dass Strukturen des im Jahr 2000 verbotenen Blood & Honour-Netzwerks weiter wirken."
"Die Antworten der Staatsregierung verdeutlichen, dass die Beobachtungspraxis des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht geeignet ist, um ein angemessenes Bild der extremen Rechten in Sachsen zu zeichnen. So gibt die Staatsregierung erstaunlich offen zu, dass ihre Definition von Rechtsextremismus nicht auf einer wissenschaftlich-analytischen Grundlage beruht, sondern sich am allgemeinen Sprachgebrauch orientiere. Wie daraus eine problemangemessene Beobachtung resultieren soll, bleibt offen. Dementsprechend klaffen in den Antworten auch große Löcher, etwa wenn es um die gesellschaftliche Verankerung von Neonazis geht, oder auch rechtsextreme Kleinparteien jenseits der NPD."
"Hier zeigt sich wie problematisch, die faktische Deutungshoheit des Landesamtes für Verfassungsschutz darüber ist, was als rechtsextrem wahrgenommen wird. Die tatsächlich relevanten Bereiche – etwa der alltägliche Rechtsextremismus oder die Ausbildung von Angstzonen für all diejenigen, die nicht in das rechtsextreme Weltbild passen – werden so jedenfalls nicht angemessen erfasst. Dies zeigt, dass wir dringend zu mehr wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Expertise über die extreme Rechte in Sachsen kommen müssen. Der Verfassungsschutz will oder kann es nicht."
Hintergrund:
» Hintergrundpapier zur Großen Anfrage (Auswertung)
» Große Anfrage ‚Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen und Organisationen im Freistaat Sachsen‚ (Drs. 5/9712)
» Mehr Infos, Dokumente, Hintergründe zum NSU-Untersuchungsausschuss …