Datum: 22. Mai 2013

PM 2013-146: Überwachungsmaßnahme NSU-Trio: – Gingen Verfassungsschutz und Innenministerium schon 2000 von rechtsextremem ‚Terror‘ aus?

Der gestrige Bericht von Report Mainz (ARD, 21.5.13) über die Begründung einer G10-Maßnahme des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) vom 28. April 2000 gegen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und weitere Unterstützer wirft bei der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fragen auf. Brisanz erhält das Schreiben von Reinhard Boos, damaliger LfV-Präsident, an Klaus Hardraht (CDU), sächsischer Innenminister, weil die Überwachung mit folgenden Worten erläutert wird: "Das Vorgehen der Gruppe ähnelt der Strategie terroristischer Gruppen, die durch Arbeitsteilung einen gemeinsamen Zweck verfolgen." und bei dem Trio sei "eine deutliche Steigerung der Intensität bis hin zu schwersten Straftaten feststellbar".
"Wusste das LfV Sachsen mehr über die terroristischen Bestrebungen des Zwickauer Terrortrios als es uns bislang glauben machen wollte? Wie kam es zu dieser präzisen Einschätzung?", will Miro Jennerjahn, Obmann der GRÜNEN-Fraktion im sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss, daher wissen.
Der damalige Präsident Boos hatte in seiner Zeugenvernehmung im sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss am 4. März 2013 auf Nachfragen des Ausschussvorsitzenden Patrick Schreiber mehrfach betont, dass das Trio zwar als militante Rechtsextremisten eingestuft wurde, nicht aber als Rechtsterroristen. Es habe keinerlei Anhaltspunkte für Rechtsterrorismus gegeben. Auch Dr. Olaf Vahrenhold, der zum damaligen Zeitpunkt Aufsichtsbeamter für die G10-Maßnahme war und über dessen Tisch das Schreiben an Klaus Hardraht ging, betonte in seiner Vernehmung am 17. Dezember 2012 im Untersuchungsausschuss, dass es keine Anhaltspunkte für die Existenz rechtsterroristischer Gruppierungen gegeben habe.
"Diese Aussagen stehen offensichtlich im Widerspruch zu der Begründung der G10-Maßnahme im Schreiben an Klaus Hardraht. Das LfV, aber auch das Innenministerium, kann sich nicht länger damit herausreden, dass es die Gefahr des Rechtsterrorismus durch das Trio nicht gesehen habe. Das Schreiben legt nahe, dass die Gefahr gesehen, aber nicht weiter gehandelt wurde. Das LfV Sachsen hätte aufgrund dieser Einschätzung und dem Wissen, dass sich das Trio in Sachsen aufhielt – diese Kenntnis bestand nach Aussage von Reinhard Boos spätestens seit dem 9. Oktober 1998 – in eigener Verantwortung nach dem Trio fahnden und insbesondere die Polizei über die Gefährlichkeit des Trios unterrichten müssen. Beides ist unterlassen worden. Stattdessen wurde sich auf der Federführung des LfV Thüringen ausgeruht. Das LfV Sachsen trägt damit eine Mitverantwortung für den Tod von zehn Menschen."
"Vor diesem Hintergrund kann auch die Pressemitteilung des LfV Sachsen vom 21. Mai 2013 nicht überzeugen. Es geht nicht um die Frage, ob die G10-Maßnahme ‚Terzett‘ bekannt war und die Dokumente den Untersuchungsausschüssen des Sächsischen Landtags und des Bundestags vorliegen, sondern um den offensichtlichen Widerspruch zwischen dem Inhalt des Schreibens und den Aussagen von Reinhard Boos und Dr. Vahrenholt vor dem Untersuchungsausschuss. Die im Untersuchungsausschuss geladenen Zeugen sind verpflichtet, von sich aus die Wahrheit zu sagen. Es ist uns als Mitgliedern des Untersuchungsausschusses untersagt, in öffentlicher Sitzung Zeugen mit geheimen Dokumenten zu konfrontieren und auch über den Inhalt geheimer Sitzungen dürfen wir uns in der Öffentlichkeit nicht äußern. Statt Aufklärung zu betreiben, wirft das sächsische LfV einmal mehr mit Nebelkerzen um sich."
"Ich fordere Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf, weitere personelle Konsequenzen im LfV Sachsen zu ziehen. Dass das brisante Dokument sich laut Bericht von Report Mainz ausgerechnet in den Unterlagen befunden hat, die am 10. Juli 2012 in einem Safe eines Sachbearbeiters des LfV gefunden wurden und in dessen Folge Boos von seinem Amt zurückgetreten ist, kann kein Zufall sein. Es kann, insbesondere mit dem LfV-Vize Olaf Vahrenhold, kein ‚weiter so‘ geben."