Braunkohle/Tillich-Brief – Tillich drängt Vattenfall mit Zuckerbrot und Peitsche zur Abbaggerung weiterer Dörfer in der Lausitz
(2015-75) Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag wirft Ministerpräsident Stanislaw Tillich vor, unmittelbar Konzerninteressen statt die des Freistaates Sachsen und seiner Bürgerinnen und Bürger zu vertreten.
"In wessen Interesse agieren Sie? Wie verträgt sich das mit Ihrem Amtseid?", fragt Dr. Gerd Lippold, energiepolitischer Sprecher der GRÜNEN-Fraktion den Ministerpräsidenten angesichts eines gestern bekannt gewordenen Briefes, den Tillich gemeinsamen mit seinem brandenburgischen Amtskollegen Dietmar Woidke (SPD) Mitte Januar an den zuständigen Ausschuss des schwedischen Parlaments gerichtet hatte.
Darin beteuern die beiden Ministerpräsidenten, die neuen Tagebauerweiterungen Welzow Süd II (Brandenburg) und Nochten II (Sachsen) zügig durchzusetzen, um den Kaufpreis für die Braunkohlesparte zu erhöhen. >>Dies würde aus unserer Sicht dazu beitragen, den Unternehmenswert von Vattenfall zu erhalten und so die Verkaufschancen für das Unternehmen und damit zusammenhängende mögliche Erlöse für den schwedischen Staat zu erhöhen<<, heißt es in dem Brief.
"Tillich verspricht nichts anderes, als beispielsweise im angelaufenen bergrechtlichen Planfeststellungsverfahren für Nochten II im Sinne des maximalen Unternehmenswertes zu agieren", kritisiert Lippold. "In einem Rechtsstaat müssen die einzigen Kriterien in diesen Verfahren die sorgfältige Prüfung aller Antragsunterlagen, Einwendungen und Risikoabschätzungen und die Güterabwägung zwischen den Interessen der Betroffenen, der Umwelt und dem Gemeinwohl der heutigen und künftigen Generationen sein."
"Zügig oder nicht zügig – das darf überhaupt kein Kriterium sein. ‚Sorgfältig und verantwortungsvoll‘ muss angesichts der enormen und dauerhaften Konsequenzen der Entscheidung die Maßgabe für das Verfahren heißen."
Im Anhang zum Brief der Ministerpräsidenten wird für die schwedischen Parlamentarier unter anderem beschrieben, was die behaupteten Konsequenzen eines Rücktritts Vattenfalls von der Erweiterung der Tagebaue Nochten und Welzow aus Sicht der Regierungen Sachsens und Brandenburgs wären.
Lippold findet eine Passage im Kapitel 3 des Briefanhangs besonders bemerkenswert: Dort heißt es, die Umsiedlungsmaßnahmen müssten dann umgehend beendet werden. Für die betroffenen Bürger, die eine Umsiedlung erwarten, würde dies – so der Brief der Ministerpräsidenten – eine Beeinträchtigung ihrer Lebensplanung bedeuten, wenn die Tagebaue nicht kämen!
Nach ‚Peitsche‘ klingt der Brief, wenn für die anstehenden Genehmigungsverlängerungen der heute betriebenen Alttagebaue Nochten und Reichwalde mit potenziell teuren Plananpassungsforderungen gedroht wird, sollten die von den Ministerpräsidenten gewünschten Erweiterungsvorhaben nicht vorangetrieben werden.
Im selben Kapitel wird behauptet, mit dem Verzicht auf das Vorantreiben der Erweiterungsvorhaben durch Vattenfall drohe spätestens 2026 das abrupte Ende aller Braunkohlenkraftwerke und sonstigen Heiz- und Industriekraftwerke in der Lausitz und damit der gesamten ökonomischen Basis als >>Innovative Energieregion<<.
"Dabei hat selbst die Bundesnetzagentur in ihren Planungsprämissen für das Jahr 2025 die zwei ältesten Blöcke des Kraftwerks Boxberg in Sachsen nicht mehr berücksichtigt. Eine rasche Abschaltung dieser mehr als 35 Jahre alten Kohlemeiler würde den Kohlebedarf des Kraftwerkes aus dem bestehenden Tagebau Nochten etwa halbieren. Auch ohne jede Erweiterung könnten die zwei verbleibenden Blöcke noch Jahrzehnte versorgt werden", erläutert der Abgeordnete.
"Ein Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohle ist das Gebot der Stunde, der von einem geförderten Strukturwandel begleitet wird. Stattdessen erwecken Tillich und Woidke den Eindruck, es gäbe überhaupt keine Alternative zu einem Szenario, in dem alle Kraftwerke bis zum Tag X jeden Tag 24 Stunden unter Volldampf laufen und am Tag X alle gleichzeitig abgeschaltet werden."
"All diese Überlegungen, die für die Zukunft der Tagebauerweiterungen und der von Umsiedlung betroffenen mehr als 1.600 Menschen allein in Sachsen von größter Tragweite sind, erschienen den Herren Tillich und Woidke offenbar zu komplex, um sie dem zuständigen Fachausschuss des schwedischen Parlamentes zur Kenntnis zu bringen. Wir sehen es nun als Aufgabe der Grünen Opposition in den Landtagen in Dresden und Potsdam, dies nachzuholen", so Lippold.
» Brief von Woidke und Tillich
Hintergrund:
Nach Artikel 61 Sächs. Verfassung leisten die Mitglieder der Staatsregierung beim Amtsantritt den Amtseid vor dem Landtag. Er lautet:>>Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohl des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, Verfassung und Recht wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber allen üben werde.<<