Datum: 23. September 2015

Freie Schulen: GRÜNE sehen Zweifel an verfassungskonformer Umsetzung durch Juristischen Dienst bestätigt

(2015-319) Heute stellte Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, das Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes des Sächsischen Landtags zum neuen Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft vor.
Die GRÜNE-Fraktion hatte das Gutachten im Mai 2015 kurz nach Vorlage des Gesetzentwurfs durch die Staatsregierung beantragt. Mit nur wenigen Änderungen der Koalitionsfraktionen war das Gesetz im Juli im Landtag beschlossen worden und trat zum 1. August 2015 in Kraft.
"Das Gutachten des Juristischen Dienstes ist ein wichtiger Beitrag zur Klärung strittiger Fragen in Bezug auf das neue Gesetz. In zentralen Punkten bestätigt es unsere Zweifel an der verfassungskonformen Umsetzung des wegweisenden Urteils des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 15.11.2013", fasst Petra Zais das Ergebnis zusammen.
Konkret beziehen sich die verfassungsrechtlichen Bedenken des Juristischen Dienstes darauf, ob der Verzicht auf einen gesonderten Ausgleichsanspruch bei Schul- und Lernmittelgeldfreiheit freier Schulen auf einem begründbaren, d.h. inhaltlich nachvollziehbaren Verfahren beruht. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hat in seinem Urteil den Grundsatz formuliert, dass der Gesetzgeber bei der Finanzierung der freien Schulen „prozedurale Anforderungen“ zu beachten hat. Dieser Grundsatz wird bei der Umsetzung des Artikels 102, Absatz 4 Satz 2 Sächsische Verfassung offensichtlich nicht eingehalten. Der Gesetzgeber begründet nicht hinreichend, ob und inwieweit die zu gewährenden Zuschüsse sowohl den schul- und lernmittelgeldfreien wie auch den dauerhaft genehmigungsfähigen Betrieb der Ersatzschulen erlauben.
Petra Zais erklärt dazu: "Der fehlende Nachweis der proklamierten ‚Auskömmlichkeit‘ der staatlichen Zuschüsse war ein zentraler Kritikpunkt im Gesetzgebungsverfahren, auf den wir auch in unserem Positionspapier vom April 2015 hingewiesen haben. Es wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Schulbetrieb auf Dauer ohne weitere Finanzierungsquellen möglich ist. Eine Begründung für diese Annahme sucht man indes vergeblich."
Auch die Bezahlung der Lehrerinnen und Lehrer an Schulen in freier Trägerschaft ist nach wie vor ein Streitpunkt. Im Gutachten wird davon ausgegangen, dass der sogenannte Absenkungsfaktor von 0,9 bei der Berechnung der Personalkosten die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte genügend absichert. Es wird jedoch bekräftigt, dass die Bezahlung mindestens zwischen 80 und 90 Prozent der Entlohnung an einer öffentlichen Schule liegen sollte, damit die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind.
"Für mich steht fest: Mit den staatlichen Zuschüssen bleiben freie Schulen faktisch vor die Wahl gestellt, entweder ihre Lehrer angemessen zu bezahlen, auf ein Schulgeld zu verzichten oder wichtige Investitionen zu tätigen", so Zais. "Mit der Wahlfreiheit ist es nicht weit her, gerade weil es keinen gesonderten Ausgleich bei Verzicht auf Schul- und Lernmittelgeld gibt."
Zwar verstößt das Gesetz laut Gutachten nicht gegen das Recht auf Datenschutz. Allerdings werden bezüglich der zu erlassenden Rechtsverordnung Empfehlungen und Anforderungen formuliert.
"Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist das neue Gesetz zu unbestimmt. Hier muss die Staatsregierung mit weiteren Konkretisierungen in Form der Rechtsverordnung nachbessern", fordert die Abgeordnete.
"Die unzureichende Übergangsregelung für Schulen, die vier Jahre ohne staatliche Zuschüsse auskommen mussten, haben wir im Gesetzgebungsprozess mehrfach kritisiert. Während der Juristische Dienst zu dem Schluss kommt, dass diese Übergangsregelung nicht zu beanstanden sei, gibt es, etwa von Prof. Dr. Friedhelm Hufen, dem ehemaligen Prozessbevollmächtigten im Normenkontrollverfahren vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof, den Hinweis, dass hier eine ‚verfassungswidrige Lücke‘ bestünde, da es keinen Ausgleich für die entstandenen teilweise existenzbedrohenden Nachteile gibt."
"Mein Fazit: Im Gesetz ist nicht nachvollziehbar dargelegt, inwiefern Ersatzschulen ohne die Erhebung von Schul- und Lernmittelgeld dauerhaft den Betrieb aufrechterhalten können und die Regelung eines Ausgleichsanspruchs tatsächlich verzichtbar ist. Ziel muss es sei, sowohl für den Freistaat Sachsen als auch für die Träger der freien Schulen Rechtssicherheit zu schaffen", sagt Zais.
"Wir werden nun die weiteren Handlungsoptionen prüfen und das Gespräch zu Interessenvertreterinnen und -vertretern der freien Schulen suchen." » Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes des Landtags zum Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft » GRÜNES Positionspapier zum Entwurf der Staatsregierung für ein novelliertes Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft (17.04.2015) Auszüge aus dem Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes:
"Der Gesetzgeber muss die Leistungshöhe in einem inhaltlich transparenten, sach- und realitätsgerechten Verfahren einschätzen und dabei alle wesentlichen Kostenfaktoren für die Bemessung des Mindestbedarfs berücksichtigen. Hinsichtlich der Methode hat der Gesetzgeber einen Spielraum. Es muss jedoch begründet werden können, dass die vorgesehenen Zuschüsse den sowohl schul- und lernmittelgeldfreien wie auch dauerhaft genehmigungsfähigen Betrieb der Ersatzschulen erlauben. Die der Bemessung zugrunde liegende Systematik und Methode müssen erkennbar und die unterstellten Annahmen zu Tatsachen darstellbar sein. […] (S. 10)
§§ 13, 14 E sehen zwar ein ausdifferenziertes Berechnungsmodell für die staatliche Förderung nach Art. 102 Abs. 3 SächsVerf vor, das ausführlich begründet und dargelegt wird. Bezogen auf den finanziellen Ausgleich nach Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf bzw. das Absehen einer entsprechenden Regelung hierzu werden jedoch keine Kostenfaktoren oder -anteile der staatlichen Zuschüsse bemessen. Die Annahme des Gesetzgebers, dass die zu gewährenden Zuschüsse den Ersatzschulen einen sowohl schul- und lernmittelgeldfreien wie auch dauerhaften genehmigungsfähigen Betrieb ermöglichen, wird nicht näher in einem inhaltlich transparenten und sachgerechten Verfahren dargestellt. […] (S. 11)
Vor dem Hintergrund des Urteils des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs ist fraglich, ob die Annahme des Gesetzgebers, dass die Ersatzschulen ohne die Erhebung von Schul- und Lernmittelgeld betrieben werden können, und damit sein Verzicht auf eine gesonderte Regelung zum Ausgleichsanspruch hinreichend begründbar ist. Im Hinblick auf den Verzicht eines gesonderten Ausgleichsanspruchs ist insbesondere verfassungsrechtlich bedenklich, ob der Entwurf aus Sicht des Art. 102 Abs. 4 Satz 2 SächsVerf vertretbar einschätzt, dass die vorgesehenen staatlichen Zuschüsse den Ersatzschulen einen sowohl schul- und lernmittelgeldfreien wie auch dauerhaft genehmigungsfähigen Betrieb erlauben." (S. 12)
"Bezüge müssen allgemein so bemessen sein, dass es der einzelnen Lehrkraft möglich ist, ein statusgemäßes Leben zu führen. Ausgehend von den zitierten obergerichtlichen Entscheidungen […] ist die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte an Ersatzschulen […] genügend gesichert, wenn die Vergütung der Lehrkräfte zwischen 80 und 90 Prozent der Entlohnung an öffentlichen Schulen in Sachsen beträgt […]. Die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellte Grenze von 75 Prozent der Vergütung vergleichbarer Lehrkräfte dürfte eine absolute Untergrenze darstellen. Eine Vergütung im Bereich von 75 und 80 Prozent an freien Schulen in Sachsen, wird jedoch im Hinblick auf die sächsische Rechtsprechung sehr wahrscheinlich nicht den Voraussetzungen des Art. 102 Abs. 3 Satz 4 SächsVerf, § 5 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 3 Nr. 2 E entsprechen.
Eine Vergütung muss zudem in regelmäßigen Zeitabständen gezahlt werden." (S. 23)