Netzentgelte: Energiewendeblockade der Staatsregierung macht Sachsen zum Energiewendeverlierer
(2017-14) In den letzten Tagen äußerten ostdeutsche Landesregierungen Empörung und Unverständnis darüber, dass die vereinbarte Angleichung der Netzentgelte vom Bundeswirtschaftsministerium offenbar abgeblasen wurde. Diese Blockade durch Bundesminister Gabriel brachte sogar seinen Parteifreund und sächsischen Minister Dulig auf die Barrikaden.
Das kommentiert der energiepolitische Sprecher der sächsischen Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Gerd Lippold, wie folgt:
"Es ist wichtig und richtig, über Ausgleich für unterschiedliche Netzentgeltbelastungen durch regional unterschiedliche Demografie und Industriedichte zu reden. Wenn ostdeutsche Landesregierungen jetzt allerdings reflexhaft eine direkte Verbindung der deutlich höheren regionalen Netzentgelte im Osten zu den Erneuerbaren Energien herstellen, so ist das näher zu hinterfragen."
"Denn: auch in Sachsen zahlen Industrie sowie Bürgerinnen und Bürger überdurchschnittlich hohe Netzentgelte, während Sachsen beim Ausbau der Energieproduktion aus Sonne und Wind im Bundesvergleich deutlich hinterher hinkt."
"Wer tatsächlich regional ausgewogen und generationengerecht handeln will, muss sich die Mühe machen, die komplexen Ursachen unterschiedlicher Netzentgelte zu analysieren. Nur so kann abgewogen werden, welche Hebel an welcher Stelle wirken und welche Folgen einer Angleichung über die laufende Legislaturperiode hinaus zu erwarten wären."
"Populäre, mit Gerechtigkeit begründete Forderungen nach einheitlichen Netzentgelten klingen nach einer einfachen und schnellen Lösung. Doch die Politik ist in der Pflicht, die Folgen gründlich abzuwägen. Eine bundesweite Vereinheitlichung stellt schließlich einen weitreichenden Eingriff in einen fragilen Energiemarkt dar."
"Die Effekte einer bundeseinheitlicher Netzentgelte für die Millionen Endverbraucher im Osten auf Niederspannungsebene sind nicht so groß, wie es die Lautstärke des Protestes nach Berlin vermuten lässt. Eine aktuelle Studie Kurzstudie von EWI Research zur bundesweiten Vereinheitlichung von Netzentgelten auf Übertragungsnetzebene im Auftrag der Amprion GmbH berechnet diese Umverteilungseffekte. Der durchschnittliche Haushalt etwa im Netz der Mitnetz GmbH würde zwar im Jahr etwa 14 Euro sparen, jedoch noch immer 100 Euro mehr bezahlen als ein vergleichbarer Haushalt in Düsseldorf. Eine weitgehende Vereinheitlichung gäbe es lediglich für industrielle Großverbraucher im Hochspannungsnetz."
"Um beim Thema Netzentgelte wirklich dämpfend zu wirken, muss man deren Höhe in allen Netzregionen und auf allen Spannungsebenen hinterfragen und Kostenbremsen ansetzen. Die derzeitige Diskussion jedoch nimmt die regionalen Netzentgelte als fest gegeben und dreht sich nur um deren Umverteilung. Volkswirtschaftlich ist eine solche Umverteilung ein Nullsummenspiel und weniger als das – denn der Markt würde geschwächt und regionale Regulierungsinstrumente verlören Wirkung."
"Es ist zu einfach, in der Frage der Netzentgelte aus den Ländern mit dem Finger lediglich auf den Bund zu weisen. Und es ist voreilig. Denn der Freistaat hat wesentlichen Einfluss auf die Netzentgelte im eigenen Regulierungsbereich. Das sächsische Wirtschaftsministerium ist für die Regulierung in sämtlichen sächsischen Verteilnetzen bis je 100.000 Anschlüsse zuständig. Die infraCOMP Studie ‚Transparenzdefizite der Netzregulierung‘ aus dem Jahr 2015 kritisiert, dass in Sachsen für 34 derartige Verteilnetze bei 136 Netzentgeltentscheidungen in keinem einzigen Fall die gemäß Energiewirtschaftsgesetz vorgeschriebenen Transparenzerfordernisse erfüllt wurden. Somit ist unbekannt, wie die Renditen der Netzbetreiber sich zusammensetzen und ob dort Sparmöglichkeiten bestehen. Hier fordern wir die Staatsregierung auf, endlich im eigenen Regulierungsbereich für Kostentransparenz zu sorgen und Kostensenkungspotenziale zu nutzen, bevor sie solidarischen Ausgleich von Dritten verlangt."
"Auch in einem weiteren Punkt fordern wir, dass Sachsen seine Hausaufgaben machen muss, bevor nach bundesweitem Ausgleich gerufen wird. Sachsen grenzt sich nämlich mit seiner Energiepolitik nicht nur gegen nationale Klimaschutzanstrengungen ab, sondern befeuert dadurch auch überdimensionierten Netzausbaubedarf."
"In Sachsen wird noch immer ein besonders hoher Anteil an Braunkohlestrom erzeugt, jedoch bei weitem nicht in gleichem Umfang verbraucht. Der notwendige Abtransport in den Übertragungsnetzen sorgte und sorgt für teuren Netzausbaubedarf auf der kostenintensiven Hochspannungsebene. Auch der letzte große 380 kV-Trassenbau in Sachsen diente der besseren Anbindung des Kraftwerks Boxberg. Das verteuert die Netzentgelte. Der Strom für Unternehmen und Privatleute ist auch deshalb hier teurer."
"Hinzu kommt, dass die unflexiblen Braunkohlekraftwerke als Grundlastkraftwerke oft auch dann laufen, wenn sie bei genug Sonne und Wind nur den Stromüberschuss erhöhen. Dieser nicht systemgerechte Betrieb ist ein Problem. Immer öfter müssen die Netzbetreiber mit sogenannten Redispatch-Maßnahmen die Stromnetze vor Überlastung schützen. Werden dabei Kohlekraftwerke zur Vermeidung von Überlastung zwangsweise vom Netz genommen, so werden auch sie dafür vom Netzbetreiber entschädigt. Die Stromkunden zahlen diese Entschädigung als Bestandteil des Netzentgeltes."
"Wer heute auf dauerhafte Regelungen für einheitliche Netzentgelte setzt, der sollte auch bedenken, dass im ostdeutschen Netzgebiet nach der Wiedervereinigung enormer Erneuerungsbedarf bestand. Im Ergebnis gibt es heute hier modernere Netze als im Westen der Bundesrepublik. Diese Investitionen werden bis heute auf die regionalen Netzentgelte umgelegt. Sind diese Nachwende-Investitionen jedoch abgeschrieben, dann werden die Netzentgelte im Osten deutlich sinken können. In den alten Bundesländern stehen solche Investitionszyklen aber noch bevor. Wer jetzt Netzentgelte dauerhaft angleicht, der zahlt dann auch die dortige Neuinvestition mit."
"Was den Netzentgelt-Anteil angeht, der tatsächlich auf den entschlosseneren Ausbau Erneuerbarer Energien in Brandenburg und Sachsen-Anhalt zurückzuführen ist, so zeigt sich hier in besonders deutlicher Weise die fatale und teure Auswirkung der sächsischen Energiepolitik. Denn Sachsen zahlt nicht nur im selben Netzgebiet den Netzausbau mit, sondern ist als Energiewendeblockierer mit seinen weit unterdurchschnittlichen Erzeugungskapazitäten aus Wind und Sonne auch noch der einzige große Nettozahler in den EEG-Umlagentopf unter diesen Ländern. Die jahrelange Energiewendeblockade und stur fortgesetzte Kohlepolitik der sächsischen Staatsregierung droht Sachsen tatsächlich zu einem Energiewendeverlierer zu machen."
» EWI-Studie ‚Bundesweite Vereinheitlichung von Netzentgelten auf Übertragungsnetzebene‘
» infraCOMP Studie ‚Transparenzdefizite der Netzregulierung‘