Datum: 04. März 2019

Böhlen/Konferenz im Mitteldeutschen Revier – Über den Kohleausstieg an den einzelnen Standorten entscheidet die Ökonomie und nicht der Ministerpräsident

Der Landtagsabgeordnete Dr. Gerd Lippold, energie- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, nimmt heute an der Konferenz zur Regionalentwicklung im Mitteldeutschen Revier in Böhlen teil. Zu den Aussagen von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Äußerungen von Andreas Berkner vom Planungsverband Leipzig-Westsachsen, erklärt Lippold:

„Auch heute hat der Ministerpräsident Kretschmer wieder behauptet, das Revier hätte nun 20 Jahre Zeit, weil der Kohleausstieg am 31.12. 2038 stattfinde. Das Verbreiten trügerischer Sicherheit ist verantwortungslos. Denn wann ein Standort vom Netz geht, das entscheidet weder der Ministerpräsident oder der Regionalplaner, sondern die Ökonomie aus Sicht der Betreiber.“

„Ich fordere sowohl die Staatsregierung als auch die betroffenen Planungsverbände auf: Stellen Sie endlich Ihre Annahmen auf den Prüfstand der Realität, anstatt weiter ‚Wünsch Dir was!‘ zu spielen! Wenn jetzt behauptet wird, nach dem Beschluss der Kohlekommission würde für alle sächsischen Kraftwerke nunmehr das Jahr 2038 gelten, bringt das Sachsen den dringend notwendigen, neuen Denk- und Planungsansätzen der Kohleausstiegsphase nicht entscheidend näher.“

„Zur wirklich jüngsten Kraftwerks-Generation gehört nur der im Jahr 2012 ans Netz gegangene Block R in Boxberg (Lausitz), neben den ebenfalls 2012 in Betrieb gegangenen, viel größeren Blöcken Neurath F und G in Nordrhein-Westfalen. Alle anderen sächsischen Blöcke sind 12 bis 33 Jahre älter.“

„Wenn es bei der Stilllegung ausschließlich nach dem Alter ginge: dann wären unter den 17 Gigawatt- Stein- und Braunkohle-Kraftwerkskapazität, die laut Kommissionsempfehlung im Jahr 2030 noch am Netz sein könnten, zwar noch fast alle sächsischen Braunkohleblöcke. Doch auch nach 2030 geht die Kohlekommission von einem stetigen Kapazitätsabbau aus. Anders geht das energiewirtschaftlich auch nicht. Auf diesem Pfad  gehen bei einem Enddatum 2038 ab dem Jahr 2030 pro Jahr im Mittel rund 1,2 GW Braunkohle vom Netz, mit einem Enddatum 2035 sogar 1,5 GW. Legt man die Reihung nach Alter zugrunde, dann wäre für die mitteldeutschen Kraftwerke Schkopau und Lippendorf auf diesem Pfad allerspätestens im Jahr 2030 bzw. 2034 Schluss.“

„Die wirtschaftliche Tätigkeit im Energiebereich vollzieht sich nach marktwirtschaftlichen Kriterien. Das bedeutet: an einem Geschäftsmodell hält man solange fest, wie das für die Eigentümer die profitabelste Option ist und zudem Genehmigungsfähigkeit besteht.“

„Die Genehmigungsfähigkeit hängt etwa von der Einhaltung von Grenzwerten und Auflagen ab. Eine Klage der deutschen Braunkohleindustrie und des Freistaates Sachsen gegen verschärfte EU-Grenzwerte etwa für Quecksilber und Stickstoffoxide ist soeben gescheitert. Aufgrund schadstoffreichen Brennstoffs ist das im mitteldeutschen Revier ein besonderes Problem. Man kann Grenzwerte durch technische Nachrüstung einhalten, doch schlägt das angesichts eingeschränkter Laufzeitperspektive wiederum unmittelbar auf die Profitabilität durch.“

„Die Kraftwerksbetreiber stehen bei den anstehenden Verhandlungen mit der Bundesregierung über Stilllegungsentschädigungen und -zeitpunkte angesichts attraktiver Entschädigungen einerseits und völlig unklaren Renditeprognosen im Strommarkt andererseits, angesichts von massiv steigenden Preisen für CO2-Verschmutzungszertifikate, Verschärfung von Schadstoffgrenzwerten und wachsender Gegenwehr aus der Zivilgesellschaft nicht vor politischen, sondern vor ganz handfesten unternehmerischen Entscheidungen.“

„Um Entschädigungszahlungen aus Steuermitteln möglichst gering zu halten, spricht zwar einiges für eine Stilllegungsreihenfolge nach dem Alter der Kraftwerke. Doch entscheiden wird sich das für jeden einzelnen Standort nach wesentlich komplexeren wirtschaftlichen und energiewirtschaftlichen Kalkulationen.“

Auch in Sachsen gilt es nun, nach dem Abschlussbericht der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung keinen Tag zu verlieren und der Realität wirklich ins Auge zu schauen. Die Kohleregionen müssen wirtschaftlich und infrastrukturell auf die Zeit nach der Kohle vorbereitet werden. Die Folgekostenfinanzierung muss durch sofortige Sicherheitsleistungen im Umfang der erwarteten Kosten gesichert werden. Landesplanung, Braunkohleplanung und Regionalplanung müssen dringend angepasst werden, denn Planung ist zeitaufwändig. Wer an diesen entscheidenden Stellen aus wahltaktischen Gründen Zeit verliert, dem drohen später teure Überraschungen.“