Datum: 10. Juni 2016

Fachgespräch zum Thema Inklusion am 7. Juni 2016 mit Petra Zais im Sächsischen Landtag

Am Dienstag, den 07.06.2016 folgten rund 20 Fachleute der Einladung der GRÜNEN-Landtagsfraktion zum Fachgespräch „Inklusion in Sachsen – Anforderungen und Erwartungen an ein neues sächsisches Schulgesetz“. Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, stellte den Zeitplan zur Schulgesetz-Novelle vor und führte in das Thema ein. „Der Nachholbedarf in puncto schulischer Inklusion in Sachsen war einer der zentralen Gründe für die Novellierung des Schulgesetzes – und ist nun eines der dominierenden Themen im laufenden Gesetzgebungsverfahren. Wir kritisieren, dass es nach wie vor keinen Rechtsanspruch auf inklusive Beschulung gibt. Außerdem steht der gemeinsame Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung nach wie vor unter einem Ressourcenvorbehalt und das letzte Wort trifft die Schulleitung. Dass der Verweis auf eine vermutete unzureichende Förderung von Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht genügt, um Inklusion zu verhindern, erachten wir als diskriminierend. Hier muss dringend ein Weg gefunden werden, um dem Anspruch auf gemeinsamen Unterricht und auf individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden.“
„Inklusion braucht eine strategische Aufstellung.“ (Prof. Dr. Anke Langner)
Einen ersten Input zum Thema übernahm Frau Prof. Dr. Anke Langner, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Inklusive Bildung an der TU Dresden. Ihre zentrale Kritik lautete, dass keinerlei Strategie hinter dem Schulgesetz-Entwurf erkennbar sei. Im Grunde sei Inklusion nur bei Auflösung des gegliederten Schulsystems, nicht allein durch Auflösung der Sonderpädagogik denkbar. Als „No-Gos“ aus Sicht der UN-Behindertenrechtskonvention nannte Prof. Langner Inklusion nach Haushaltslage, Inklusion nach Schulleiterermessen und Beibehaltung der Förderschulpflicht. Prof. Langer plädierte dafür, das Elternwahlrecht nicht zu verabsolutieren, aber zu stärken, etwa durch eine optionale Formulierung im Gesetz oder ein zwischengeschaltetes Gremium. Aus wissenschaftlicher Perspektive brauche Inklusion mehr Forschung und eine Professionalisierung. Inklusion müsse als Element der Schulprogrammarbeit und Qualitätsentwicklung begriffen werden. Dazu fehlten im Schulgesetz-Entwurf klare Aussagen. Der Schulleitung käme dabei eine zentrale Rolle zu, etwa bei der Personalentwicklung. Für die Praxis stellte Prof. Langner klar, dass auch bei der Diagnostik die Strategie klar sein müsse: Wozu soll die bisherige – defizitorientierte – Feststellungsdiagnostik dienen? Durch wen soll sie erfolgen? Und wie könnte – aus strategischer Sicht – die Ressourcensteuerung aussehen? Prof. Langner plädierte für eine Entkopplung der Schulen mit Förderschulschwerpunkten von Zentren mit sonderpädagogischem und inklusivem Know-How und für eine Stärkung der Mitwirkungs- bzw. Kontrollrechte der ElternvertreterInnen, Behindertenverbände und Schulträger. Dieses Zentrum sollte eine Beratungs- und Vernetzungsstelle sein, multiprofessionelle Teams begleiten, Personal- und Sachressourcen bereit stellen und verteilen und regionale Pools verwalten.
„Es gibt viel Know-How im Land. Ich wünschte, das wäre bei der Schulgesetz-Novelle eingeflossen.“ (Julia Wunsch)
In einem zweiten Input nahm Julia Wunsch, 1. Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Inklusion in Sachsen (LAGIS) – Gemeinsam leben – Gemeinsam lernen e.V., zum Thema Stellung, insbesondere in Bezug auf den Schulgesetz-Entwurf. Dieser bleibe im Bereich schulische Inklusion zu unkonkret. Obwohl es seit sieben Jahren einen Anspruch auf inklusive Bildung gebe, fehle dazu ein Konzept. Der gemeinsame Unterricht müsse als Regelfall begriffen werden.Der Rechtsanspruch müsse klar abgebildet werden – für alle Schularten. Dass es dabei entsprechender Ressourcen bedürfe, liege auf der Hand. Wichtig sei aus Elternperspektive außerdem, dass die Diagnostik weiterentwickelt und unabhängiger aufgestellt wird, etwa in Form eines „mobilen Dienstes“ nach Thüringer Vorbild. Unabhängigkeit und Transparenz wünsche man sich auch bei der Elternberatung.
„Wir überlegen immer, wie sich der Schüler verändern muss, um in die Regelschule zu passen – nicht wie sich die Regelschule verändern kann und muss.“ (Teilnehmerin des Fachgesprächs)
In der anschließenden Diskussion wurde zunächst Pro und Contra der von Prof. Langner eingebrachten Förderzentren diskutiert. Positiv beurteilt wurde die damit ermöglichte Professionalisierung in Beratung und Begleitung für alle Förderschwerpunkte und die Schaffung einer Art „kollegialen Gedächtnisses“. Kritisch wurde angemerkt, dass externe Zentren Wartezeiten verlängern und die Praxisferne der dort tätigen Lehrkräfte vergrößern könnte. In jedem Fall müsse sichergestellt werden, dass die beratenden Lehrerinnen und Lehrer auf diese Arbeit auch vorbereitet seien. Überhaupt wurden in der Diskussion eine ganze Reihe von Anforderungen an die Lehreraus- und -weiterbildung formuliert. Getreu dem Grundsatz, dass Inklusion keine ferne Zielbeschreibung, sondern eine konkrete Aufgabe sei, müsse das Thema in allen Bereichen der Lehrerbildung Eingang finden. Weiteres Thema waren die Übergänge, sowohl vom frühpädagogischen zum schulischen Bereich als auch der Übergang von schulischer zu beruflicher Bildung. Häufig würde der Datenschutz hier eine größere Rolle spielen als die individuelle Förderung der betroffenen Schülerinnen und Schüler. Auch das Thema Ressourcen nahm naturgemäß breiten Raum ein.
Nach etwa zwei Stunden intensiven Austausches lud Petra Zais die Runde zu einem Rundgang durch die Ausstellung „Vom Glück, einen guten Lehrer zu haben“ ein. Bei einem kleinen Imbiss wurden die Gespräche im informellen Rahmen fortgesetzt.

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