Datum: 30. Oktober 2025

Aktuelle Debatte Bahn – Meier: Sachsen braucht eine Bahnstrategie, die diesen Namen auch verdient

Redebeitrag der Abgeordneten Katja Meier (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Vom Schienenland aufs Abstellgleis? Zeit für eine Bahnstrategie mit Takt, Tempo und Verlässlichkeit.“

21. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 30.10.2025, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sachsen bezeichnet sich gern als „Schienenland“. Doch dieses Selbstbild steht heute auf wackligen Gleisen.

Während andere Regionen in Deutschland und Europa längst in moderne und leistungsfähige Bahnsysteme investieren, landet Sachsen immer häufiger auf dem Abstellgleis. Und das in einer Zeit, in der Mobilität, Klimaschutz und wirtschaftliche Transformation uns eigentlich zu entschlossenem Handeln verpflichten.

Dabei hat die Bahn in Sachsen Geschichte geschrieben:

Sie war Motor für Industrialisierung, Wohlstand und regionale Entwicklung. Und sie könnte es wieder sein.

Doch hierfür braucht es etwas, das der Freistaat seit Jahren nicht liefert: eine klare, verbindliche Strategie für Bahn und SPNV – mit Prioritäten, Finanzierung und Zeitplan.

Doch statt Elektrifizierung, Taktverdichtung und attraktiven Fern- und Nahverkehrsverbindungen erleben wir Verzögerungen, Finanzierungslücken und Verantwortungs-Ping-Pong.

Ich nenne nur zwei prominente Beispiele: Dresden–Görlitz und Chemnitz–Leipzig. Beide Strecken könnten Rückgrat eines modernen sächsischen Schienennetzes sein, Motor für den Strukturwandel, für den europäischen Austausch.

Das deutsch-polnische Abkommen zum Ausbau und Elektrifizierung der Strecke Dresden–Wrocław wurde vor mehr als 22 Jahren geschlossen. Wir reden also seit über zwei Jahrzehnten über Ausbau und Elektrifizierung.

Polen hat 2019 geliefert – wir reden noch, wie es gehen kann.

So verliert man Entwicklungschancen. So verliert man Glaubwürdigkeit. So verliert man Anschluss.

Und diese fehlende Prioritätensetzung hat ganz konkrete Folgen im Hier und Jetzt: Der Verkehrsverbund Oberelbe muss im nächsten Jahr neue batterieelektrische Züge ausschreiben. Damit diese ab 2033 klimafreundlich fahren können, braucht es Fahrdraht auf Dresden–Bischofswerda. Doch diese Elektrifizierung ist nicht gesichert. Also droht ernsthaft: Dieselbetrieb im S-Bahn-Netz um Dresden – bis 2060.

Das ist keine Anekdote. Das ist Symptom. Das ist die Bahnstrategie des Freistaates in Reinform. Dabei hätte gerade Sachsen, mitten im Herzen Europas, alles zu gewinnen:

Wir könnten Drehscheibe zwischen Ost und West sein. Wir könnten Güterverkehr auf die Schiene verlagern. Wir könnten Strukturwandel aktiv gestalten. Wir könnten jungen Menschen eine klimafreundliche Zukunftsperspektive bieten.

Doch während beim Straßenneubau Verpflichtungsermächtigungen weit in die Zukunft gelegt werden, werden bei wichtigen Bahnprojekten nicht einmal die nächsten Planungsstufen im Haushalt abgebildet.

Das Problem ist nicht fehlende Erkenntnis. Es zeigt, wie verzerrt die politischen Prioritäten sind.

Sachsen braucht eine Bahnstrategie, die diesen Namen verdient – mit:

  1. klaren Prioritäten, welche Strecken zuerst umgesetzt werden,
  2. verlässlicher, langfristiger Finanzierung statt Hoffnungssätzen,
  3. Tempo bei Planung und Umsetzung.

Denn eines ist sicher: Wer das „Schienenland Sachsen“ ernst meint, darf es nicht weiter aufs Abstellgleis fahren lassen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die Probleme im Bahnverkehr sind sichtbar: Verspätungen, Zugausfälle, überfüllte Regionalzüge.

Nicht alles liegt in der Verantwortung des Landes – aber Sachsen kann und darf sich nicht aus der Verantwortung ziehen. Denn der Freistaat gestaltet mit: Er plant, er priorisiert, er finanziert – oder eben nicht.

Und daran entscheidet sich, ob Menschen mobil bleiben oder abgehängt werden. Wir sehen es beim ICE-Halt in Riesa: Die Entscheidung der Deutschen Bahn ist ein schwerer Einschnitt für die Stadt. Mit dem Wegfall von fast drei Vierteln der Halte verschlechtert sich die Fernverkehrsanbindung massiv.

Von einem klarstrukturierten Taktfahrplan entfernt sich die Deutsche Bahn immer mehr. Und dabei stellt sich eine einfache, aber entscheidende Frage: Sitzt das Land etwa nicht bei Fahrplankonferenzen mit am Tisch? Warum wurde nicht früher interveniert?

Ein „Aufschrei im Nachhinein“ ersetzt keine aktive Verkehrspolitik.

Ja, wir können hoffen, dass mit der neuen Bahnvorständin Evelyn Palla regionale Interessen stärker berücksichtigt werden. Aber Hoffnung ist keine Strategie. Verlässliche Bahnpolitik braucht aktive Verantwortung des Freistaates.

Und genau das wird sogar vom ADAC in seinem gestern veröffentlichten Mobilitätsindex bestätigt
und der steht wirklich nicht im Verdacht, aus Sympathie unsere Position zu teilen.

Der ADAC attestiert: Sachsen hat zu wenig Fernbahnhöfe. Die Wege zum nächsten Fernbahnhof sind in keinem anderen Bundesland so lang wie hier. Und die Zuverlässigkeit hat sich verschlechtert.

Mit anderen Worten: Die Bahn ist für viele schlicht nicht erreichbar. Gleichzeitig steigt die Nachfrage: Die Menschen wollen Bahn fahren.

Doch gerade im ländlichen Raum verlieren Menschen ihre Anbindung. Seit 1994 wurden 680 Kilometer Schienenstrecken stillgelegt. So entsteht keine Mobilitätswende. So entsteht Frust.

Wir BÜNDNISGRÜNE sagen klar: Das geht anders. Sachsen braucht endlich eine Bahnpolitik, die Verantwortung übernimmt. Wir brauchen Investitionen in die Zukunft – nicht in den Stillstand.

Und wir verbinden Kritik mit Zielen und konkreten Maßnahmen:

1. Priorität für die Finanzierung der Schiene

  • Die Planung der Projekte Dresden–Görlitz und Chemnitz–Leipzig müssen vollständig durchfinanziert werden.
  • Für den Nahverkehr braucht es ausreichend Mittel, statt aus Regionalisierungsmittel den Schülerverkehr zu finanzieren.
  • Die Ziele für Mindestbedienstandards im Nahverkehr müssen endlich umgesetzt werden.

2. Sachsen muss Druck auf den Bund machen

  • Ausbau der internationalen Bahnverbindungen nach Polen und Tschechien muss kommen – nicht nur im Koalitionsvertrag stehen.
  • Die Finanzierungsvereinbarung für Chemnitz–Leipzig mit der DB muss abgeschlossen werden.
  • Schiene ist öffentliche Daseinsvorsorge – das Trassenpreissystem gehört reformiert.


3. Mut zur Reaktivierung regionaler Strecken

Strecken wie Löbau–Ebersbach, Muldentalbahn, Herrnhuter Bahn oder Beucha–Brandis–Trebsen bieten echte Chancen für Regionen, Pendler und Tourismus.

Wer Abwanderung verhindern will, muss Mobilität sichern – auch jenseits der Großstädte. Wir reden hier nicht über Luxus. Wir reden über gleichwertige Lebensverhältnisse. Wir reden über wirtschaftliche Zukunftschancen. Wir reden darüber, ob Menschen bleiben können – oder gehen müssen.

Unser Ziel ist klar: Bahnfahren in Sachsen soll verlässlich, bequem, einfach und bezahlbar sein – für alle.

Vielen Dank.