Vertrauliche Spurensicherung – Meier: Ohne diese wichtige Hilfen riskieren wir, dass Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden können
Redebeitrag der Abgeordneten Katja Meier (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Zugang zur vertraulichen Spurensicherung in ganz Sachsen sicherstellen – Qualität, Finanzierung und Struktur dauerhaft stärken“ Drs 8/4468
21. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 30.10.2025, TOP 10
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
10.202 Fälle. 10.202 Fälle häuslicher Gewalt im Jahr 2024 in Sachsen; die Dunkelziffer ist weitaus höher und die Tendenz ist steigend.
Wenn ein Mensch häusliche oder sexualisierte Gewalt erlebt, dann steht die Welt still. In diesen Momenten geht es nicht um Verfahren, Zuständigkeiten oder Paragrafen.
Es geht um Würde. Es geht um Sicherheit. Es geht darum, Halt zu finden in einer Situation, die alles erschüttert.
Menschen, die Gewalt erfahren, brauchen Zeit: Zeit, um das Geschehene einzuordnen. Zeit, um Schutz zu organisieren. Zeit, überhaupt wieder atmen zu können.
In dieser Phase können viele ihre Rechte nicht aktiv wahrnehmen, weil sie schlicht damit beschäftigt sind, das Erlebte selbst zu bewältigen.
Und ja: Sexualisierte Gewalt kann alle treffen. Aber sie trifft Frauen und Mädchen überproportional häufig. Das zeigen nicht nur die Zahlen, sondern verweist auf ein strukturelles Problem in unserer Gesellschaft.
Wer über Gewalt spricht, spricht auch über Gleichstellung. Und Gleichstellung bedeutet eben auch: gleicher Schutz. Gleiche Sicherheit. Gleiche Rechte und Selbstbestimmung.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
wir wollen, dass Betroffene in ganz Sachsen, unabhängig vom Wohnort, die Möglichkeit haben, Spuren der Tat sicher und vertraulich dokumentieren zu lassen.
Egal ob in Leipzig oder Löbau, in Dresden oder im Vogtland: Der Zugang darf keine Frage der Postleitzahl sein.
Doch die Realität sieht anders aus: Die vertrauliche Spurensicherung ist in Sachsen regional ungleich verteilt, sie ist organisatorisch uneinheitlich, und die Qualitätsstandards variieren.
Das bedeutet: Dort, wo das Angebot fehlt, verlieren Betroffene durch die fehlende Versorgung nicht nur wichtige körperliche Beweisspuren, sondern auch die Möglichkeit, sich später für eine Anzeige zu entscheiden.
Wenn wir diese Zugänge nicht sichern, riskieren wir, dass Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Und für Betroffene fühlt es sich dann so an, als hätte das System sie im entscheidenden Moment allein gelassen. Das dürfen wir nicht akzeptieren.
Werte Damen und Herren,
unser Antrag zieht die notwendigen Konsequenzen. Die Staatsregierung muss endlich die Verträge mit den Krankenkassen nach §132k SGB V abzuschließen. Der bundesgesetzliche Anspruch besteht seit 2020.
Dass Sachsen ihn noch immer nicht umgesetzt hat, ist ein politisches Versäumnis mit direkten Folgen für Betroffene.
Wir brauchen eine flächendeckende Versorgung mit verbindlichen Qualitätsstandards. In jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt muss mindestens eine Notfallambulanz vorhanden sein, die rund um die Uhr vertrauliche Spurensicherung anbietet – barrierefrei, niedrigschwellig, erreichbar.
Dazu gehört:
- die gesicherte Bereitstellung der Spurensicherungskits,
- der sichere Transport und die fachgerechte Lagerung der Asservate,
- und gezielte Schulungen für Ärztinnen, Ärzte und Pflegepersonal, damit die Dokumentation gerichtsfest gelingt.
Wir brauchen ein landesweit einheitliches digitales Dokumentations- und Informationssystem, das Ärztinnen und Ärzte unterstützt und Qualität sichert.
Und schließlich: Bellis e.V. als landesweit zentraler Träger braucht eine verlässliche und dauerhafte Finanzierung. Denn wir müssen Strukturen schaffen, die Betroffene nicht allein lassen.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Deutschland hat die Istanbul-Konvention ratifiziert. Damit haben wir uns völkerrechtlich verpflichtet, Betroffene zu schützen, Gewalt zu verhindern und Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Das sind keine wohlfeilen Absichtserklärungen. Das ist ein klarer Auftrag:
- solange die vertrauliche Spurensicherung nicht überall zugänglich ist,
- solange die Finanzierung nicht gesichert ist,
- solange Menschen davon abhängen, ob in der nächsten Klinik geschultes Personal vorhanden ist,
- solange erfüllen wir diesen Auftrag nicht.
Und deshalb ist unser Antrag kein Zusatz und kein nice to have. Er ist schlicht die Umsetzung dessen, was wir längst zugesagt haben.
Meine Damen und Herren,
die vertrauliche Spurensicherung macht eine Tat nicht ungeschehen. Aber sie gibt Betroffenen Zeit, Wahlmöglichkeiten und Handlungsspielraum zurück. Sie verhindert, dass wichtige Spuren verloren gehen. Sie ermöglicht es, Spuren zu sichern, ohne sofort Anzeige erstatten zu müssen. Sie hält Handlungsoptionen offen, statt sie zu verschließen. Und sie schafft die Grundlage dafür, dass Strafverfolgung überhaupt möglich wird.
Damit leisten wir einen Beitrag zum Schutz, zur Selbstbestimmung und zur Gerechtigkeit in Sachsen. Die vertrauliche Spurensicherung steht genau an der Schnittstelle zwischen medizinischer Versorgung, Opferschutz und Justiz. Und deshalb gehört zu ihr nicht nur die medizinische Leistung, sondern auch Information, Sensibilisierung und Aufklärung.
Wir brauchen begleitend eine öffentliche Informationskampagne, damit Betroffene, Angehörige, Beratungsstellen, Polizei und medizinisches Personal über dieses Angebot wissen. Denn die beste Struktur hilft nichts, wenn sie im entscheidenden Moment nicht bekannt ist.
Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, die Strukturen so zu gestalten, dass Hilfe nicht von Zufällen abhängt, sondern zuverlässig erreichbar ist.
Vielen Dank!