Datum: 30. Oktober 2025

Fehlende Schulplätze – Melcher: Hunderte Kinder erleben derzeit Isolation statt Integration

Redebeitrag der Abgeordneten Christin Melcher (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Bildung für ALLE Kinder und Jugendliche in Sachsen – Bildungsgerechtigkeit und Schulplatzgarantie sichern“ (Drs 8/4338)

20. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 29.10.2025, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

zum Stichtag 2. Juli dieses Jahres waren noch über 1.100 Kinder und Jugendliche ohne Schulplatz. Ein Jahr zuvor waren es doppelt so viele. Zum Schuljahresbeginn 2025/26 ging die Zahl wieder auf etwa knapp unter eintausend runter, aktuell sind es wohl 650 Kinder ohne Schulplatz.

Diese Zahlen zeigen deutlich: Es besteht Handlungsbedarf!

Jedes Kind ohne Schulplatz bedeutet, dass wir unser Versprechen auf Bildungsgerechtigkeit nicht einlösen. Und das können wir uns nicht leisten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Auch wenn die Zahlen aktuell rückläufig sind, fehlt aus unserer Sicht ein nachhaltiger Ansatz, dieser Herausforderungen auch zukünftig zu begegnen und einen Schulplatz zu garantieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es fehlt an systematischen Daten: über Wartezeiten, über regionale Unterschiede, über tatsächliche Aufnahmekapazitäten in den Kommunen. Wir tappen bei grundlegenden Steuerungsinformationen im Dunkeln.

Erster Kernpunkt unseres Antrags ist daher ein landesweites Monitoring-Verfahren zur Schulplatzvergabe einzurichten. Warum ist das so wichtig?

Wir wissen heute schlichtweg nicht, wie lange Kinder und Jugendliche tatsächlich auf einen Schulplatz warten müssen. Das Kultusministerium hat in einer unserer Kleinen Anfragen eingeräumt, dass keine verlässlichen Information zu durchschnittlichen Wartezeiten oder zu prozentualen Schwankungen bei der Schulplatzvergaben vorliegen, weil diese Daten nicht systematisch erhoben werden.

Diese fehlende Datengrundlage erschwert eine gezielte Steuerung und vor allem eine vorausschauende Planung erheblich. Wir wissen zwar, dass aktuell wieder mehr geflüchtete junge Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen sind und teilweise länger als drei Monate auf einen regulären Schulplatz warten, weil die Zuweisung erst nach kommunaler Wohnsitznahme erfolgt und auch dieser Prozess Zeit benötigt.

Doch wie viele insgesamt betroffen sind schwankt stark– mal sind es Zweitausend mal Eintausend und mal Siebenhundert Kinder und Jugendliche ohne Schulplatz. Das muss sich ändern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
als zweiten Punkt fordern wir, die schulischen Aufnahmekapazitäten bei der Verteilung nach § 50 Asylgesetz verbindlich zu berücksichtigen – in enger Abstimmung mit den Kommunen und Schulträgern.

Derzeit erfolgt die Verteilung von Asylsuchenden nach einem Bevölkerungsschlüssel. Das zentrale Problem ist jedoch, dass die Staatsregierung selbst einräumen musste, das das Vorhandensein voraussichtlicher Schulplätze kein gesetzliches Verteilkriterium im Sinne des § 50 Absatz 4 Satz 5 Asylgesetz ist, das bei der Zuweisung berücksichtigt werden müsste.

Dieser administrative Blindflug führt zu einem eklatanten Widerspruch zu unseren verfassungsrechtlichen Verpflichtungen. Obwohl das Recht auf schulische Bildung in der Sächsischen Verfassung (Art. 102 Abs 1) verankert ist und die EU-Aufnahmerichtlinie (Art. 16 Abs. 2) den Schulzugang binnen zwei Monaten nach kommunaler Wohnsitznahme fordert, warten die Kinder und Jugendlichen monatelang auf ihren Schulplatz.

Die Ursache liegt hier klar in der fehlenden datenbasierten Verzahnung zwischen der Verteilungsbehörde und den Schulträgern.

Was ist die Folge all dessen? Wenn die Verteilung die realen Gegebenheiten ignoriert, entsteht eine Konzentration in den Ballungszentren der Kreisfreien Städte wie Dresden, Leipzig und Chemnitz. Diese Ungleichverteilung überlastet die Schulen dort enorm.

Lassen Sie es mich aber an dieser Stelle deutlich sagen: Das Problem sind nicht die Kinder und Jugendlichen, sondern es ist die nicht zu Ende gedachte Steuerung und fehlende konzeptionelle, personelle und materielle Vorbereitung im Schulsystem.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unsere Punkte drei und vier fordern die umgehende Entwicklung eines Programms um die Schulplatznot zu lindern. Eng damit verbunden steht auch unsere Forderung, flexible Raumkonzepte und die Nutzung leerstehender Gebäude stärker zu prüfen und konsequent umzusetzen.

Die aktuelle Unterversorgung an Schulräumen ist eine erlebte Realität in Sachsen, die von den Kommunen nicht allein bewältigt werden kann. Zwar obliegt die bedarfsgerechte Bereitstellung von Schulräumen und -häusern den Gemeinden, doch die Staatsregierung muss hier deutlich mehr beraten, unterstützen, koordinieren und vor allem auch finanzielle Verantwortung übernehmen.

Es genügt nicht zu hoffen, dass die Kommunen das Problem aus eigener Kraft beheben. Die Lage ist dringlich und gleichzeitig wissen wir auch, dass wir Schulen nicht von heute auf morgen bauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir stehen an dieser Stelle in einer Zwickmühle, denn wir sind uns der Schwierigkeit bewusst – die knappen Haushaltsmittel und die organisatorischen Herausforderungen – auch wenn der Bund uns nun über das Sondervermögen Mittel zur Verfügung stellt.

Gleichzeitig können finanzielle oder organisatorische Engpässe kein dauerhaft gültiges Argument sein, wenn es um das Grundrecht des Zugangs zu Bildung geht!

Das Bundesverfassungsgericht (Seite 4) hat in seiner Rechtsprechung unmissverständlich formuliert: Der Staat darf sich weder auf knappe Mittel noch auf organisatorische Zwänge berufen, wenn es um die Wahrung des Mindeststandards schulischer Bildung geht.

Die Pflicht den Kindern und Jugendlichen ihr Recht auf Bildung zu garantieren steht über finanziellen oder organisatorischen Engpässen. Das bedeutet konkret: Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um den Bildungszugang zu sichern und den Mindeststandard schulischer Bildung zu gewährleisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
als letzten Punkt fordern wir außerdem einen regelmäßigen, halbjährlichen Bericht über die Schulplatzvergabe hier im Landtag. Dieser sollte detaillierte Angaben enthalten – zu Wartezeiten, regionalen Verteilungen, Fortschritten und bestehenden Herausforderungen. Das schafft eine Handlungsgrundlage, Transparenz und Vergleichbarkeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lassen sie mich abschließend betonen: Wir müssen anerkennen, Migration ist keine Ausnahme,  sondern längst Teil unserer gesellschaftlichen Realität – in Sachsen, in Deutschland, in Europa.

Wer diese Tatsache weiterhin ignoriert, riskiert nicht nur eine Überforderung des Systems, sondern verschärft bestehende Herausforderungen. Diese Realität verlangt nach Schulen und pädagogischem Personal, die auf gesellschaftliche Vielfalt – konzeptionell, personell und materiell – gut vorbereitet sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
und ich stehe hier heute auch nicht alleine. Inzwischen haben sich mehr als 30 Organisationen im Bündnis für das Recht auf Schule zusammengeschlossen und senden ein deutliches Signal: In Sachsen fehlt eine nachhaltige Schulplatzgarantie, die Integration und Teilhabe aller Kinder wirklich ermöglicht.

Fest steht: Ein Kind, das monatelang auf Bildung wartet, verliert nicht nur Unterrichtsstoff – es verliert Vertrauen, Zugehörigkeit und Zukunftschancen. Diese Kinder erleben Isolation statt Integration, Stillstand statt Entwicklung.

Deshalb möchten wir mit unserem Antrag anregen, endlich das Thema anzugehen und nicht darauf zu warten, dass sich die Herausforderungen in den Schulen von allein regeln lassen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unser Antrag ist ein Appell an Verantwortung und an Haltung. Es geht um die Kinder, die morgen dieses Land mitgestalten. Lassen Sie uns endlich dafür sorgen, dass in Sachsen kein Kind mehr darauf warten muss, bis sein Grundrecht Bildung Wirklichkeit wird.

Vielen Dank.