Datum: 15. Dezember 2022

Bekämpfung der Armut von Kindern und Jugendlichen – Hammecke: Es braucht grundlegende Reformen auf Bundesebene

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE: „Unverzüglich Aktionsplan zur Bekämpfung der Armut von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen erstellen!“ (Drs 7/11465)
62. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 15.12.2022, TOP 12

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrte*r Präsident*in, werte Abgeordnete,

der Kampf gegen Kinderarmut kann nicht warten. Denn Kinder können nicht warten. Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut.

Und Armut ist kein persönliches Problem. Weder bei Kindern noch bei Erwachsenen.

Denn bestimmte Lebenslagen, bestimmte sich überschneidende Merkmale erhöhen das Risiko, von Armut betroffen zu sein. Alleinerziehende sind angesprochen worden. In Deutschland ist es ein Armutsrisiko ein Kind zu sein.

Deshalb spricht die Linksfraktion mit diesem Antrag ein drängendes Thema an. Ein Thema, das viel zu selten diskutiert und noch seltener in der großen Öffentlichkeit steht – und dafür danke ich ernsthaft.

Denn was bedeutet Armut für die Betroffenen? Unter dem Hashtag #Ichbinarmutbetroffen schreiben die Menschen über die ganz konkreten Auswirkungen. Und man sollte ihnen zuhören und man sollte sie ernst nehmen.

Es ist auch ganz klar, dass das Vorgehen der bisherigen Bundesregierungen absolut nicht ausreichend war. Um mal den Fokus auf die Teilhabe zu legen: 2010 sagte auch das Bundesverfassungsgericht, dass zum menschenwürdigen Existenzminimum eben nicht nur das physische Existieren gehöre, sondern auch die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen – sowie ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.

Daraufhin wurden im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets Leistungen geschaffen, auf die in Deutschland 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche Anspruch hätten: Es geht um Klavierunterricht, den Fußballverein – es geht um ein Miteinander und gemeinsam wachsen und lernen.

Aber weniger als die Hälfte der Anspruchsberechtigten nutzen es, weil es in schwierig händelbarem Antragswust endet, diese Dinge zu beantragen. Weil es kompliziert ist und die Eltern überfordert. Die Folge? Verdeckte Armut. Kinder, die einen Anspruch auf diese Leistungen hätten, sie aber nicht in Anspruch nehmen können.

Die Parität überprüft regelmäßig die Umsetzung des Bildungs und Teilhabepakets – und veröffentlicht (im Gegensatz zur Bundesregierung) regelmäßig Statistiken zur Teilhabequote im Bereich soziale und kulturelle Teilhabe – und in Sachsen sind es nicht mal zwölf Prozent derjenigen, die Anspruch hätten.

Verantwortlich sind hier die Kommunen, es zeigen sich Unterschiede. Aber es hat sich in keinem Bundesland, so auch nicht in Sachsen, bestätigt, dass die großen Städte es einfach immer besser hinbekommen – das heißt, auch hier braucht es einen differenzierten Blick und Lösungsmöglichkeiten, diese Quoten zu erhöhen.

Die jetzige Bundesregierung hatte sich viel vorgenommen, um Armut in Deutschland zu bekämpfen. Der Koalitionsvertrag der drei Parteien sah zahlreiche Maßnahmen vor. Denn – und das erkennt auch dieser Antrag an: Für eine wirklich substanzielle Änderung der Situation brauchen wir grundlegende Reformen auf Bundesebene.

Das Bürgergeld, 12 Euro Mindestlohn, die BAföG-Reform – all dies hatte sich die Bundesregierung vorgenommen und auch eingelöst. Doch der 24. Februar dieses Jahres, der schreckliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, die damit einhergehende Energiepreiskrise und die steigende Inflation, hat hier ganz neue Herausforderungen geschaffen. Die Menschen brauchen Entlastung, die Bundesregierung hat auch hier vorgelegt: Im Oktober wurde endlich verkündet, dass es eine Preisbremse für Strom und Gas geben soll, der Beschluss erfolgte heute.

Es gibt eine deutliche Ausweitung des Wohngeldanspruchs, eine einmalige Energiepreispauschale für alle Einkommensteuerpflichtigen und weitere Hilfen für Rentner*innen und Studierende.

Deshalb nein, ich erkenne kein Wegschauen, ich erkenne kein Tabuisieren des Problems – sondern notwendige Versuche, in dieser schwierigen Situation Entlastungen schaffen, die ankommen. Und die wirken.

Der Freistaat Sachsen beteiligt sich an der Ko-Finanzierung mit etwa 1,5 bis 2 Milliarden Euro. Setzt außerdem im Doppelhaushalt, den wir hoffentlich Montag und Dienstag beschließen, nochmal 200 Millionen Euro ein, um die soziale Infrastruktur zu stärken, und setzt einen eigenen Topf mit 200 Millionen Euro auf, um Härtefälle, die durch das Netz des Bundes fallen, hier auffangen zu können.

Und der Freistaat wird sich nächstes Jahr der Debatte stellen müssen, ob das reicht – oder ob wir angesicht der wirtschaftlichen Situation im neuen Jahr nicht doch auf eine neue Debatte zur Schuldenbremse kommen müssen. Die Position meiner Fraktion kennen Sie.

Sehr geehrte Abgeordnete,

das Anliegen des Antrags ist wichtig und richtig. Ich bin froh, dass wir das Thema hier heute diskutieren – ich möchte aber gerne nochmal konkret auf die einzelnen Punkte eingehen und unsere Ablehnung begründen. Das Anliegen eint uns, das Vorgehen nicht.

Das Vorhaben, weitgehende Kostenfreiheit infrastruktureller Angebote zu schaffen, ist eine Maßnahme, die sehr viel Geld kostet, aber eigentlich ungerechte Gießkannenpolitik darstellt – anstatt denjenigen, die es tatsächlich brauchen, das Ganze zu finanzieren.

Die Forderung nach konkreten Orten zum Austausch, zum Zusammenkommen – die kann ich nachvollziehen. Diesen Bedarf hat die Staatsregierung bereits erkannt und hat mit der gemeinsamen Richtlinie der Sozialen Orte und Orte der Demokratie bereits begonnen, genau diese Treffpunkte zu schaffen. Außerdem verstetigen wir die Jugendpauschale, um Kommunen die Mittel in die Hand zu geben, um spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Und wir schaffen kostengünstige Mobilität mit dem Bildungsticket und dem Azubi-Ticket.

Eine weitere Forderung ist eine landesweite Berichterstattung zu Kinder- und Jugendarmut. Vor genau neun Tagen hat Petra Köpping eine umfassende Sozialberichterstattung vorgelegt, mehr als 900 Seiten, in denen es detaillierte Daten zur Situation von Kindern, von Familien gibt – und auch einen besonderen Fokus auf Alleinerziehende und auch die Situation von Kindern und Jugendlichen, auch die ökonomischen Situation. Für diese bin ich sehr dankbar, denn von dort aus kann man strategisch politisch sehr gut weiterarbeiten.

Und ja – die Kindergrundsicherung muss kommen. Mit Familienministerin Lisa Paus haben wir am Kopf des federführenden Ministeriums eine Person, die seit Jahren für die Einführung kämpft und das Ganze jetzt in Verantwortung umsetzen kann und wird: So hat sie erst vor wenigen Wochen noch einmal gesagt: „Kinderarmut zu bekämpfen, ist meine wichtigste Aufgabe“. Und das stimmt. Dafür braucht es allerdings keinen Antrag im Sächsischen Landtag zu.

Werte Abgeordnete,
das Anliegen ist zentral. Dem Antrag werden wir aus den vorgenannten Gründen nicht zustimmen.

Vielen Dank.