Datum: 04. Februar 2021

Corona – Liebscher: AfD-Diskurs kennt nur das Anklagen von Schuldigen und die Erzählung von Opfermythen

Redebeitrag des Abgeordneten Gerhard Liebscher (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion AfD zum Thema:“Das stille Sterben der Wirtschaft verhindern – richtige Wege aus den Corona-Zwangsmaßnahmen finden!“
23. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 04.02.2020, TOP 1

Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und
hinter uns liegt ein Jahr, in dem wir über 58.000 Menschen in Deutschland an die Pandemie verloren haben. Viele Familien haben geliebte Angehörige nicht am Sterbebett begleiten oder verabschieden können. Seelsorge und Pflege waren eingeschränkt. Viele, zu viele Menschen sind im Stillen gestorben. Ihre Wortwahl zu diesem Debattentitel verkennt im besten Fall den Ernst der Lage und ist, im schlechtesten, pietätlos und anmaßend. Das stille Sterben in der Pandemie und das menschliche Leid, das damit verbunden ist, ist eine Tatsache, die unser Mitgefühl und unseren Respekt verdient hat.
Wir haben es gestern schon gehört und offenbar muss man auch wirklich jeden Tag daran erinnern: Schutzvorkehrungen und Maßnahmen zur Bewahrung von Menschenleben sind nicht aus einer politischen Laune erwachsen, um die Wirtschaft im Allgemeinen willkürlich mit Zwang zu geißeln. Ein überwiegender Großteil der sächsischen Unternehmerinnen und Unternehmer sind sich dessen auch bewusst.
Allein die AfD scheint von allen Hygienemaßnahmen die größten Schwierigkeiten mit dem „richtigen Weg“ – nämlich der Abstandsregel zu haben: Und das ist die zu Corona-leugnenden Verschwörungstheorien und der extremen Rechten!
Der Diskurs, den Sie in der Öffentlichkeit pflegen, kennt nur das Anklagen von Schuldigen und die Erzählung von Opfermythen! Ihr populistisches Einmaleins lässt eine differenzierte Betrachtung der Situation und das Aufzeigen von möglichen Perspektiven aus der gesellschaftlichen Krise gar nicht zu!

Statt Hetze und Verschwörungstheorien politisch auszuschlachten, heißt politische Verantwortung zu tragen aber, die Fakten-Lage anzuerkennen und umfassende Lösungen zu erarbeiten.
Wir müssen in diesem Sinne dieser Krise von zwei Seiten begegnen:
Zum Einen heißt das: Die Ursache bekämpfen und den Virus eindämmen.
Zum Anderen: Perspektiven eröffnen, um unser Wirtschaftssystem nach Corona wirtschaftlich, sozial und auch ökologisch krisenfest zu machen.

Für den Neustart nach der Krise, müssen wir die Krise selbst nutzen, um entschieden nachzusteuern. Wir haben jetzt die Chance, ein System aufzubauen, das soziale Sicherheit für Kleinunternehmerinnen, Kreative und Soloselbstständige bietet. Wir haben jetzt die Chance, Innenstädte zukünftig attraktiver zu gestalten, als Ort des Zusammenkommens und nicht als Ort des „Zusammen-Kaufens“.

Meine Damen und Herren,
die Krise hat unsere ganze Gesellschaft getroffen, aber sie hat nicht alle gleich getroffen. Um allein bei den Unternehmen zu bleiben: Während der stationäre Einzelhandel und besonders kleine Inhaber*innen-betriebene Geschäfte starke Einschnitte hinnehmen, sind die Umsätze im Versandhandel erwartungsgemäß stark gestiegen. Während Kreative oder Gastronomen die ersten waren die Ihre Läden geschlossen haben, um der Verbreitung des Virus entgegenzuwirken, sind andere Branchen nur mäßig von Einschränkungen betroffen. Die Auszahlung der Überbrückungshilfe kam für viele Unternehmen spät und deckten die verlorenen Investitionen wie auch das eigene Einkommen nicht ab. Mieten hingegen werden als Fixkosten vollumfänglich an die Immobilienfirmen weitergegeben.
In dieser Situation pauschal von Wirtschaftssterben zu sprechen, verkennt die erhebliche Ungleichverteilung der Mittel und Nöte. Diese Erfahrungen zeigen den Nachbesserungsbedarf bei den Wirtschaftshilfen deutlich auf. Wir erleben dennoch zum Großteil Verständnis und Geduld bei den Selbstständigen. Kreativ stellten sächsische Betriebe teilweise ihre Produktion um, sodass der pandemischen Bedarfslage mit ganz neuen Lösungen begegnet wird.
Und auch die Analyse des Arbeitsmarktes zeigt: Die Arbeitslosenzahlen bleiben dank Kurzarbeitergeld stabil, Prognosen zu Folge wird die Zahl der Insolvenzen ebenfalls beherrschbar.

Meine Damen und Herren,
die Wirtschaft als Ganzes stirbt nicht. Sie liegt am Boden, ja. Aber sie wird wieder aufstehen. Und die helfende Hand, die wir ihr reichen sollten, von innovativen Impulsen getrieben werden.
Nur so können wir die Transformation hin zum nachhaltigen Wirtschaften und damit zur langfristigen Stärke unseres Mittelstandes gewährleisten.


2. Teil:

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,

einen Punkt möchte ich noch anschließen, der mir in dieser Debatte zu kurz kommt:

Wir leben in einer globalen Pandemie, die globale Lösungen verlangt. Wenn wir je davon sprechen wollen, Corona zu besiegen, dann müssen wir das auf internationaler Ebene tun. Wir haben viel von Privilegien gehört in dieser Debatte und viel von Neid und Geld. Was ich bisher vermisse, ist das Bewusstsein, dass wir hier in Europa keine Chance haben, das Virus alleine zu besiegen. Im aktuellen Wettlauf um Impfstoffverteilung wird das gern übersehen.

Um die Pandemie global in den Griff zu bekommen, sollten wir auch wirtschaftlich neuen Impulsen folgen und über die befristete Aussetzung der Patentrechte für Impfstoffe diskutieren. Ich sage Ihnen das als Unternehmer, der selbst Patente angemeldet hat (Bevor hier gleich von rechts Gebrüll kommt.) Darum ist es mir mehr als bewusst mit welcher Sensibilität das Thema Patentrechte zu behandeln ist. Ich bin hier durchaus in guter Gesellschaft: Sowohl Teile der WTO als auch der Chef des Biotech Unternehmen Curevac, Herr Haas, sprachen sich bereits für die vorübergehende Aussetzung der Patentrechte aus.

Selbstverständlich ist die Herstellung nicht trivial, es gibt aber international viele Labore und Expertise, so beispielsweise in Indien, in denen auch die Produktion der RNA-Impfstoffe möglich ist.
Um der außerordentlichen globalen Katastrophe entgegenzutreten – und zudem auch die weitere Forschung zum Umgang mit Mutanten des Virus zu erweitern – sind außergewöhnliche Ansätze gefragt.

» Mehr Informationen zur 22. und 23. Sitzung des 7. Sächsischen Landtages