Datum: 09. November 2023

Datenschutzbericht – Lippmann: Gerade die Polizei muss das Vertrauen der Bevölkerung genießen

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Bericht der Sächsischen Datenschutz- und Transparenzbeauftragten: „Tätigkeitsbericht Datenschutz 2022, Berichtszeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2022“ (Drs 7/13438)
79. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 09.11.2023, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Vorstellung des Berichts der Sächsischen Datenschutz- und Transparenzbeauftragten für das Jahr 2022 sorgte für Aufregung. Das lag allerdings nicht vorwiegend an den aufgelisteten Verstößen gegen den Datenschutz, sondern vor allem an dem sogenannten Facebook-Streit. Die Auseinandersetzung zwischen der Datenschutzbeauftragten und der Staatskanzlei über die Untersagung des Facebook-Auftritts der Sächsischen Staatskanzlei bestimmte die Berichterstattung der Medien – das auch zu Recht, handelt es sich doch um eine ganz grundsätzliche Frage.

Aber dabei gingen viele der anderen aufgeführten Mängel in der Umsetzung des Datenschutzes unter. Wir BÜNDNISGRÜNE stehen als Bürgerrechtspartei für einen konsequenten Datenschutz. Die Behörden sollen nur ein Minimum an notwendigen Daten speichern dürfen; anlasslose und unverhältnismäßige Datenspeicherungen müssen auch durch die Politik unterbunden werden.

Deswegen möchte ich meinen Fokus erneut auf Datenschutzverstöße bei der Polizei richten. Es handelt sich hier nicht um eine bloße ritualisierte Wiederholung des schon so oft Gesagten. Vielmehr ist es ein besonders grundrechtssensibles Thema, da die Polizei bereits im Vorfeld zur Verhütung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einschreiten darf und mit besonderen Zwangsbefugnissen gegenüber Personen ausgestattet ist. Deswegen muss gerade sie das Vertrauen der Bevölkerung genießen. Und gerade deswegen sind hier – auch einzelne – Verstöße gegen den Datenschutz besonders gefährlich.

Umso wichtiger ist die Kontrolle durch die unabhängige Datenschutzbeauftragte. Das Benennen von Verstößen und ein konstruktiver Umgang mit Fehlern eröffnet die Möglichkeit, Vorsorge zu treffen. Deswegen freut es mich, dass zukünftig durch einheitliche Prüfschemata zum Beispiel für die Einhaltung von gesetzlich normierten Höchstspeicherdauern gesorgt werden soll.

Ebenso unerlässlich ist eine rechtsfehlerfreie Benachrichtigung an Betroffene. Denn diese wissen nicht unbedingt, dass ihre Daten im Rahmen der polizeilichen Tätigkeit verarbeitet wurden. Für eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit ist diese Kenntnis jedoch notwendig. Daher begrüße ich, dass den Dienststellen nun ein einheitliches Muster zur Verfügung gestellt wurde.

Doch bei allem Lob für die Verbesserungen, die im Bereich Datenschutz bereits erzielt wurden, bleiben doch einige Kritikpunkte, die sich vor allem auf die zunehmende Videoüberwachung im öffentlichen Raum beziehen. „Die offene Videoüberwachung eines öffentlichen Ortes kann und soll zugleich abschreckend wirken und insofern das Verhalten der Betroffenen lenken“ stellte das Bundesverfassungsgericht schon 2007 fest – und bejahte damit einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Seitdem hat die Videoüberwachung stetig zugenommen – mit zumindest zweifelhaften Erfolgen. Selbst das Innenministerium hat eingestanden, dass der automatisierte Datenabgleich gem. § 59 Absatz 1 PVDG keine großen Erfolge gezeitigt habe. Diese Einschätzung wurde auch von einer Evaluation der Norm durch das Deutsche Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer gestützt.

Der § 59 PVDG sorgte aber auch noch in anderer Hinsicht kürzlich für eine gewisse Irritation auf BÜNDNISGRÜNER Seite. Im September fand die mündliche Verhandlung zu dem 2019 von GRÜNEN und LINKEN eingereichten Normenkontrollantrag zum PVDG statt. Gegenstand des Rechtsgesprächs war unter anderem ebenjener § 59. Die Norm selbst sowie die Gesetzesbegründung beziehen sich ausdrücklich darauf, dass der Abgleich nur automatisiert erfolgt und auch erfolgen darf. Damit sollte verhindert werden, dass die Polizeibediensteten vom erhobenen Datenbestand inhaltlich Gesamtkenntnis erlangen können.

Hier wurde nun seitens der Staatsregierung vorgetragen, dass der Abgleich keineswegs automatisiert erfolge. Vielmehr würde das Bildmaterial erst gespeichert, gegebenenfalls manuell bearbeitet und anschließend in ein Abgleichsystem eingespeist. Diese Zwischenschritte sind vom Wortlaut nicht gedeckt. Und sie werden in der Evaluierung auch nicht erwähnt, was zusätzlich verwundert. Soweit die Ausführungen der Staatsregierung vor dem Verfassungsgerichtshof also zutreffend waren, ist der konkrete Einsatz nach § 59 nicht nur nicht zielführend, sondern auch noch rechtswidrig – ein Beweis, dass die Vorgängerkoalition in Sachen Bürgerrechte zu blind der Polizei vertraut hat. Gut, dass zumindest mit dieser Überwachung zum Jahresende Schluss ist.

Auch ich kann also nicht vorhersagen, wie die Entscheidung aus Leipzig ausfallen wird. Ich kann jedoch schon jetzt feststellen, dass die Erfahrungen mit § 59 anscheinend nicht so eindrücklich waren, dass sie eine globale Neubewertung der Videoüberwachung seitens der Staatsregierung anstoßen würden.

Insofern teilen wir BÜNDNISGRÜNEN die kritische Einschätzung der Datenschutzbeauftragten zur langfristigen Überwachung öffentlicher Straßen auch in strafprozessualen Verfahren. Ich möchte noch einmal auf die bereits zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückkommen. Es stellt hier fest, dass verdachtslose Eingriffe mit großer Streubreite, bei denen zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, eine hohe Eingriffsintensität aufweisen.

Es ist also nicht nur die Qualität eines Eingriffs, die auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit abgewogen werden muss. Auch die Quantität, die sogenannte Streubreite, vermag aufgrund der Vielzahl der Betroffenen verfassungsrechtliche Bedenken auslösen. Dies sollten wir uns vor jeder neuen Maßnahme deutlich vor Augen führen.

Meine abschließenden Worte könnten wirklich wie ein „jährlich grüßt das Murmeltier“ anmuten. Und doch werde ich als Bürgerrechtspolitiker nicht müde, daran zu erinnern, dass eine fast vollständige Überwachung keine technologische Dystopie mehr ist, sondern realisierbar. Und dass das Recht auf Datenschutz aus der Sächsischen Verfassung kein beliebiges Beiwerk, sondern elementar für die freie Entfaltung der Persönlichkeit ist.

Deswegen haben wir BÜNDNISGRÜNE seinerzeit den Normenkontrollantrag eingereicht und deswegen können wir auf eine unabhängige Datenschutzbeauftragte und ihre unermüdliche Arbeit für die Freiheitsrechte nicht verzichten. Ich danke Frau Dr. Hundert und ihrem Team für ihre wichtige Arbeit.