Jahresbericht 2024 – Schubert: Neuer Integrationsbeauftragter hat in Sachsen weiter dicke Bretter zu bohren
Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zur Unterrichtung durch den Sächsischen Ausländerbeauftragten: „Jahresbericht 2024“ (Drs 8/4482)
20. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 29.10.2025, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
lieber Herr Mackenroth,
herzlichen Dank zunächst für den vorgelegten Bericht und – insbesondere – für Ihre engagierte Arbeit in den vergangenen zehn Jahren. Sie haben Ihr Amt mit Fingerspitzengefühl und mit Blick auf das Menschliche ausgefüllt; Sie sind in dem Amt wahrnehmbar gewachsen.
Sie haben eine Reihe von Projekten angeschoben, vorangetrieben und mitgestaltet, die heute Integration im Freistaat prägen. Ich denke etwa an die Heim-TÜVs – sie waren deutschlandweit einzigartig und sie sind eine wertvolle Grundlage, um die menschenwürdige Unterbringung von Menschen zu verbessern. Sie haben sich als Mahner für eine bessere und schnellere Einbürgerungspraxis verstanden. Und Sie haben wiederholt die migrationsgesellschaftliche Öffnung in Sachsen in den Mittelpunkt gerückt — ich erinnere mich noch gut an Ihre prägnante Aussage: „Michel stellt immer Michael ein.“ Diese Bildsprache bleibt haften.
Zudem haben Sie durchgehend Best-Practice-Beispiele vorgestellt, wenn es darum ging, Fachkräfte in sächsischen Betrieben zu integrieren. Es war Ihnen ein Anliegen, dass das Thema nicht abstrakt bleibt, sondern konkret wird: Menschen in Arbeit — ein wesentlicher Aspekt um Teilhabe zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang haben Sie mehrfach öffentlich betont, wie wichtig eine pragmatische Anwendung von Gesetzen ist — gerade, wenn es darum geht, Menschen mit Arbeit einen Aufenthaltsstatus zu verschaffen.
Auch wenn die BÜNDNISGRÜNEN nicht immer in allen Punkten Ihrer Linie gefolgt sind: Es steht außer Frage, dass Sie sich als besonnener Vermittler erwiesen haben. Ihre Stimme war oft diejenige, die versachlicht hat, die Zahlen gegen schnelle Vorurteile stellte und damit zur konstruktiven Debattenkultur beigetragen hat. Sie haben an vielen Stellen unterstützt – und dadurch viele Lebenswege verändert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lieber Herr Mackenroth,
ich möchte mit Ihnen noch einmal den Blick in das 2024 richten. Mit dem Sächsischen Integrations‑ und Teilhabegesetz (ITG) haben wir eine solide gesetzliche Grundlage für Integration im Freistaat errichtet. In Ihrem letzten Bericht finden sich ungewöhnlich scharfe Worte zu den Fehlstellen dieses Gesetzes — und ich teile Ihre Kritik: „Das ITG bleibt hinter den Möglichkeiten rechtlicher Regulierung zurück.“
Ich möchte drei Teilbereiche herausgreifen, die Sie zu Recht angesprochen haben – denn sie zeigen exemplarisch, wo Handlungsbedarf besteht:
Erstens: Im Gesetz sind Kommunale Integrationsmaßnahmen nicht als Pflichtaufgabe der Integrationsbehörden ausgestaltet. Daher braucht es politischen Willen zur Umsetzung. Die Ergebnisse dieses mangelnden politischen Willens sehen wir heute schon: In den Landkreisen Bautzen und Erzgebirgskreis gibt es keine kommunalen Integrations- und Teilhabebeauftragten. Diese mangelnde Umsetzung des Gesetzes blieb bisher ohne spürbare Konsequenzen. Ich bin daher weiter der Meinung, dass Integration kommunale Pflichtaufgabe sein müsste, allerdings muss damit auch ein entsprechendes Finanzierungsversprechen des Freistaates einhergehen.
Zweitens: Sprache als wesentlicher Baustein für Teilhabe. Das Gesetz fordert zwar den Erwerb der deutschen Sprache im Eigeninteresse der Menschen – bleibt aber in seinen Förderinstrumenten weitgehend leer. Sie schreiben sinngemäß: „Wer Teilhabe fordert, muss sie auch fördern.“ Für mich heißt das: Wir müssen Sprachkurse aktiv bereitstellen — auch ergänzend zu bundesweiten Angeboten. Berufssprachkurse, Kurse für Frauen mit Kinderbetreuung, Kurse im ländlichen Raum – all das muss berücksichtigt werden. Außerdem braucht es, wie sie richtigerweise schreiben: die Stärkung herkunftssprachlichen Unterrichts. Es ist wissenschaftlich erwiesen: Nur wer in seiner Muttersprache schriftlich wie mündlich gut kommunizieren kann, kann auch weitere Sprachen gut erlernen.
Drittens: Antidiskriminierung als Basis für Teilhabe. Teilhabe ohne Antidiskriminierung ist nicht denkbar. Wer aufgrund seiner Herkunft in Behörden, Bildungseinrichtungen, am Arbeitsplatz oder bei der Wohnungssuche benachteiligt wird, kann keine echte Teilhabe erreichen. Wir brauchen: eine unabhängige Anlaufstelle, systematische Erfassung von Diskriminierungsvorfällen, und Stärkung migrationsgesellschaftlicher Kompetenz in Behörden und Bildungseinrichtungen — damit Bewusstsein entsteht und Diskriminierung erkannt wird.
Ich hoffe, dass alle Beteiligten die im Gesetz vorgesehene Evaluation als Chance begreifen — um Defizite zu identifizieren und Weiterentwicklungen des Sächsischen Integrations- und Teilhabegesetzes gezielt anzugehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
lieber Herr Mackenroth,
Sie haben sich im vergangenen Jahr besonders für die Belange der venezolanischen Community eingesetzt – dafür möchte ich Ihnen ausdrücklich danken. Nach dem bundesweiten Verteilschlüssel lebt ein großer Teil der venezolanischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Sachsen. Die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für dieses Herkunftsland wird häufig kritisiert: Acht von zehn Asylanträgen werden aktuell abgelehnt – zugleich haben sächsische Verwaltungsgerichte 2024 fast ein Drittel aller Klagen zumindest teilweise stattgegeben.
Was heißt das? Das Leben vieler Menschen in Venezuela ist geprägt von Willkür, politischer Unterdrückung und Armut. Das Land erlebt aufgrund der krassen politischen Verhältnisse eine massive Fluchtbewegung. Rückkehrer werden in vielen Fällen als „Vaterlandsverräter“ behandelt und erleben Repressionen. Dennoch sinken die Anerkennungsquoten – von 40 Prozent im Jahr 2020 auf knapp 20 Prozent im Jahr 2024. Wir erleben andererseits viele Menschen aus Venezuela, die sich nach Kräften integrieren wollen, in Arbeit und Teilhabe treten möchten – ein klares Zeichen dafür, dass hier Potenziale liegen.
Aus dem Krisengespräch – das Sie mit Vertretern der venezolanischen Community in Sachsen geführt haben – entstand ein wichtiger Erlass: Venezolaner erhalten nach einem erfolglosen Asylverfahren eine Duldung sowie eine Arbeitserlaubnis und damit die Chance auf ein Bleiberecht. Das ist ein guter erster Schritt. Dieser Erlass sollte dringend verlängert und aus der Praxis heraus weitergedacht werden – um weitere Hindernisse für einen Spurwechsel abzubauen.
Herr Mackenroth, Ihre Rolle war essenziell – Sie haben sich nicht nur als politischer Akteur, sondern auch als Mensch eingebracht, der konkret versteht, worum es geht: um Integration, um Teilhabe, um die Öffnung unserer Gesellschaft. Sie haben mit Ihren Impulsen und Ihrer Stimme einen wichtigen Beitrag geleistet. Dafür vielen Dank.
Lassen Sie uns jedoch nicht stehen bleiben bei Anerkennung und Rückblick, sondern auch klar benennen, was ich mir von dem neuen Sächsischen Integrations- und Teilhabebeaufragten wünsche:
Bieten Sie Berichte in den Kreistagen an, denn sachliche Zahlen sind wichtig gegen die Polemik von Rechtsaußen.
Geben Sie Unterstützung, damit Verzögerungen bei den Ausländerbehörden abgebaut werden.
Führen Sie die Sächsische Härtefallkommission mit Würde weiter und bleiben Sie den Menschen zugewandt, so wie es auch Gert Mackenroths Leitschnur war.
Vielen Dank.