Igelschutzgesetz – Schubert: Wir wollen nicht tatenlos zusehen, wie noch mehr Igel verschwinden und sterben
Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Beratung des Gesetzentwurfes der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Gesetz zum Schutz des Igels und anderer nachtaktiver Wirbeltiere (Igelschutz – IgelSchG)“ Drs 8/4340
21. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 30.10.2025, TOP 7
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
wann haben Sie zuletzt einen Igel in freier Wildbahn gesehen? Für viele von uns ist der Igel ein vertrautes Tier – er ziert Kinderbücher, Bastelvorlagen und Herbstdekorationen. Er steht für etwas Heimisches, etwas Friedliches. Er ist Sinnbild für unsere mitteleuropäische Heimat. Doch so allgegenwärtig er in unserer Vorstellung ist – in der Realität ist er es längst nicht mehr.
Im Oktober vergangenen Jahres hat die Weltnaturschutzunion IUCN den Igel erstmals als „potenziell gefährdet“ eingestuft. In den vergangenen zehn Jahren ist seine Zahl um rund 30 Prozent zurückgegangen. Auch in Sachsen beobachten Fachleute denselben Trend: Laut Schätzungen der Staatsregierung auf unsere Kleine Anfrage hin nimmt die Igelpopulation jährlich um etwa fünf Prozent ab. Der NABU Sachsen berichtet, dass heute 85 Prozent weniger Igel auf unseren Straßen gefunden werden als noch 1994. Das ist alarmierend.
Und es sind nicht nur abstrakte Zahlen: In Aufnahmestationen wie der Igelhilfe Radebeul landen jedes Jahr hunderte Tiere – viele davon mit schwersten Verletzungen. An dieser Stelle sei allen Wildtierschutzinitiativen, allen Igelhilfen von Herzen gedankt.
Warum ist das so, dass es immer mehr schwerstverletzte Igel gibt? Weil der Lebensraum enger wird, weil Insekten als Nahrungsquelle fehlen, und weil unser Umgang mit Gärten und Grünflächen gefährlicher geworden ist.
Autos, Pestizide, elektrische Gartengeräte – sie alle tragen ihren Teil dazu bei. Und eine besonders perfide Gefahr sind Mähroboter, die bei Dunkelheit im Einsatz sind.
Igel flüchten nicht, wenn sie Gefahr wittern. Sie rollen sich zusammen. Wenn dann ein Mähroboter über sie fährt, bedeutet das nicht einen Kratzer, sondern oft amputierte Beine, aufgeschlitzte Rücken, zerstörte Schnauzen. Diese Geräte erkennen kleine Tiere nicht – und sie mähen weiter.
Die Wissenschaft bestätigt das: Anne Berger vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung hat im Mai dieses Jahres festgestellt, dass kein einziger derzeit getesteter Mähroboter als igelfreundlich gilt. Keiner. Darum braucht es unser Gesetz.
Der Gesetzentwurf, den wir heute einbringen, ist einfach und klar: Das Mähen mit selbstständig agierenden Mährobotern soll zwischen einer halben Stunde vor Sonnenuntergang und Sonnenaufgang eingeschränkt werden, sofern keine Schutzmaßnahmen getroffen werden. Wir wollen nicht tatenlos zusehen, wie noch mehr Igel verschwinden und sterben. Darum wollen wir gemeinsam etwas tun.
Warum dieses Zeitfenster? Nun, es ist eindeutig bestimmbar – der Sonnenuntergang ist jeden Tag bekannt – und es betrifft nicht wirtschaftlich genutzte Flächen wie Gärten, Parkanlagen, Spiel- oder Grünflächen. Und: Wenn es künftig igelsichere Geräte gibt, dürfen sie selbstverständlich genutzt werden.
Wir schließen Fortschritt nicht aus – wir wollen ihn aber verantwortungsvoll. Er muss und soll nicht auf Kosten der uns anvertrauten Natur gehen.
Es geht uns um eine Einschränkung, nicht um ein Komplettverbot. Die Einschränkung, die wir vorschlagen, rettet Leben. „Tierschutz ist die Erziehung zur Menschlichkeit“, sagte Albert Schweitzer. Und diesem Ansatz fühlen wir uns verbunden.
Eine Gesellschaft braucht Regeln, wo Verantwortung allein nicht reicht. Tierschutz ist Staatsziel – mit Verfassungsrang. Das, was wir hier vorschlagen, ist also im besten Sinne die Wahrnehmung von Verantwortung in Gesetzesform.
Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf und mit der heutigen Debatte Bewusstsein schaffen. Dafür, wie groß das Problem ist – und wie einfach es wäre, Igel zu schützen. Wir schränken den Wunsch nach Arbeitserleichterung durch Mähroboter nicht grundsätzlich ein – wir sagen nur: Bitte mäht tagsüber. Das ist verhältnismäßig. Das ist vernünftig. Und das ist das Mindeste, was wir tun können.
Zur Durchsetzung: Natürlich werden Kommunen gefragt sein. Es gibt in Sachsen schon Städte – Leipzig, Dresden, Chemnitz –, die ein Nachtmähverbot eingeführt haben, weil sie erkannt haben, dass es sinnvoll ist. Von diesen Erfahrungen wollen wir profitieren.
Gesetze sind da, um zu sensibilisieren und um zu schützen. Der Appell an reine Freiwilligkeit hat in den vergangenen Jahren leider nicht gereicht.
Unser Gesetzentwurf ist verfassungsrechtlich zulässig – er greift nicht in Bundeskompetenzen ein, sondern ergänzt das bestehende Naturschutzrecht sinnvoll. Und er stärkt den materiellen Artenschutz.
Natürlich wissen wir: Dieses Gesetz allein wird die Igel nicht retten. Aber es ist ein Anfang – und es reiht sich ein in weitere Maßnahmen, die wir brauchen:
- mehr igelfreundliche Gärten,
- Laubhaufen statt Laubbläser,
- wilde Ecken statt Steingärten,
- weniger Giftstoffe,
- mehr Lebensraum,
- zusammenhängende Wanderungskorridore und Biotopverbünde,
- bewusstseinsbildende, sensibilisierende Maßnahmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Igel ist ein Sinnbild für das, was wir verlieren, wenn wir nicht hinschauen. Er steht für Verletzlichkeit – und für den stillen Rückzug aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Wir können das ändern. Wir können mit einem einfachen Gesetz zeigen, dass uns Tierwohl nicht nur in Sonntagsreden wichtig ist, sondern dass wir dieses Staatsziel ernst nehmen und etwas dafür tun.
Deshalb bitte ich Sie: Unterstützen Sie unseren Gesetzentwurf. Für mehr Rücksicht, für echten Tierschutz – und für unseren Igel.
Vielen Dank.