Datum: 13. Oktober 2023

Fragen und Antworten: Das neue Versammlungsrecht

Der Freistaat arbeitet derzeit an einem neuen Versammlungsrecht. Das Innenministerium hat einen sogenannten Referentenentwurf vorgelegt. Das ist eine Vorstufe im Gesetzgebungsverfahren. Auf unser Drängen hin wurde dieser auf der Beteiligungsplattform des Freistaates veröffentlicht. Eine Veröffentlichung ist in diesem Stadium eher unüblich. Uns war es jedoch wichtig, dass sich die Bürgerinnen und Bürger schon frühzeitig informieren können. Denn das Versammlungsrecht ist eine Materie, von der viele Menschen betroffen sind, weil es ein wichtiges Grundrecht weiter ausformt und konkretisiert. Der Entwurf ist nach der entsprechenden Veröffentlichung bereits breit diskutiert worden. Wir wollen im folgenden Beitrag einige der Fragen, die uns erreicht haben, beantworten und erklärend einordnen sowie auf einige entstandene Missverständnisse eingehen.

Vorangestellt werden muss an dieser Stelle zunächst, dass das Versammlungsrecht eine sehr spezielle Rechtsmaterie ist. Zum einen sind nicht unerhebliche Teile des geschriebenen Gesetzes, welches seine wesentlichen Grundlagen im alten Bundesversammlungsgesetz aus den 50er Jahren findet, durch Rechtsprechung überformt. Zum anderen enthält das Versammlungsgesetz eine Vielzahl an ausformungsbedürftigen und unbestimmten Rechtsbegriffen, so dass der bloße Gesetzeswortlaut ohne Kenntnis der Rechtsprechung kaum verständlich ist.

Im Koalitionsvertrag hat sich die Koalition daher darauf verständigt, das aktuelle Versammlungsgesetz praxisgerechter und verständlicher gestalten und sich dabei am Musterentwurf des Arbeitskreises Versammlungsrecht zu orientieren. Daher begrüße ich als innenpolitischer Sprecher der BÜNDNISGRÜNEN Fraktion im Sächsischen Landtag, dem Freiheits- und Bürger*innenrechte besonders am Herzen liegen, den im Beteiligungsportal des Freistaates Sachsen veröffentlichten Entwurf für ein neues Versammlungsrecht in weiten Teilen ausdrücklich.

Die Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Referentenentwurf haben wir nachfolgend zusammengefasst:

  1. Es gibt ganz viele neue Befugnisse für die Sicherheitsbehörden – was soll daran eine Liberalisierung sein?

Mit dem Gesetzentwurf gibt es kaum neue Befugnisse für die Sicherheitsbehörden. Es ist eine Fehlannahme, davon auszugehen, dass eine umfassendere Normierung auch immer mehr Einschränkung bürgerlicher Freiheit bedeutet. Das gilt gerade für den gefahrenabwehrrechtlichen Bereich nicht in der mitunter suggerierten Pauschalität. Denn umso deutlicher und präziser Rechtsgrundlagen für die Eingriffe von Behörden in Grundrechte werden, umso weniger können diese sich auf Generalklauseln oder weitreichende und unbestimmte Befugnisnormen berufen.

Das Versammlungsrecht ist eine Materie, die durch die Rechtsprechung weit mehr als durch das Gesetz selbst geprägt wurde und wird. Vieles, was schon lange gängige Praxis auch in den Versammlungsbehörden ist, wird in dem vorliegenden Entwurf erstmals kodifiziert und vor allem im Sinne der Freiheitsrechte eingeschränkt. Dies dient vor allem dem Schutz von Versammlungsteilnehmer*innen. Denn detaillierte Vorgaben im Gesetz selbst sorgen dafür, dass sich die Polizei nicht für sogenannte Minus-Maßnahmen auf das Polizeirecht oder die Versammlungsbehörden auf allgemeine auslegungsbedürftige Befugnisse stützen können.

Darüber hinaus werden viele bestehende Regelungen nur systematisch neu geordnet, sind also bereits jetzt Rechtslage und keine neuen Befugnisse. Zum Beispiel wird das bisher sehr verwirrende System hinsichtlich Versammlungen in geschlossenen Räumen und jener unter freiem Himmel neu geordnet, um es verständlicher zu gestalten.

Auch erstmals Eingang findet in diesen Referentenentwurf der Schutz von Medienvertreter*innen. Insbesondere während der rechtextremen Demonstrationen der letzten Jahre wurden Presseangehörige aus Versammlungen heraus bedroht und angegriffen. Vor allem aufgrund dieser Erfahrungen war es ein besonderes BÜNDNISGRÜNES Anliegen, die Pressearbeit bei der Versammlungsbeobachtung zu stärken und besser zu schützen. Denn die Berichtserstattung ist eine der fundamentalen Säulen eines freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates.

  1. Kann die Polizei zukünftig auch Zugang zu Versammlungen in geschlossenen Räumen erhalten?

Ja, das kann sie. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine neue Regelung. Auch bisher dürften Polizeibeamt*innen gem. § 11 Abs. 1 SächsVersG in öffentliche Veranstaltungen in geschlossenen Räumen entsandt werden, wenn eine nicht weiter konkretisierte Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht oder auch nur zu befürchten ist. Diese unbestimmten Voraussetzungen werden durch den Gesetzesentwurf nunmehr deutlich nachgeschärft. Demnach sollen Polizeibeamt*innen nur noch dann in Versammlungen in geschlossenen Räumen entsandt werden können, wenn von der Versammlung eine umittelbare Gefahr für bestimmte Rechtsgüter ausgeht. Dadurch, dass die Rechtsgüter (beispielsweise die Friedlichkeit der Versammlung, Leben und Gesundheit von Personen etc.) in § 22 Abs. 1 Nr. 1-3 VersG-E genannt sind, kann die zuständige Behörde hier sehr viel weniger eigenes Ermessen ausüben und die Rechtsposition der Versammlungsteilnehmer*innen wird gestärkt.

  1. Was hat es mit dem Kooperationsgespräch auf sich? Ist das jetzt für Versammlungsveranstalter*innen verpflichtend?

Das Versammlungsrecht ist von dem Kooperationsgedanken geleitet, er dient dem Schutz dieses fundamentalen Freiheitsrechts. Ein Kennenlernen von Behörde und Veranstalter*in im Vorfeld der Versammlung soll nicht nur dazu dienen, Informationen auszutauschen. Im Idealfall soll vielmehr auch ein Vertrauensverhältnis zwischen diesen Akteur*innen aufgebaut werden, das die Bewältigung unvorhergesehener Konfliktsituationen erleichtert. Daher hat das Bundesverfassungsgericht in seiner für das Versammlungsrecht maßgeblichen Brokdorf-Entscheidung im Jahr 1985 das Kooperationsgespräch für die Behörde aus der Schutzpflicht des Staates erwachsend als verpflichtend angesehen. Bei dem neuen § 3 Absatz 1 SächsVersG-E handelt es sich also um eine Kodifizierung bereits bestehender staatlicher Verpflichtungen. Das gibt dem*der Veranstalter*in eine gesicherte Rechtsposition: Die Behörde kann sich zukünftig dem Kooperationsgespräch nicht unter Verweis beispielsweise auf mangelnde zeitliche oder personelle Ressourcen entziehen. Es handelt sich jedoch um eine einseitige Verpflichtung, die lediglich die Versammlungsbehörde, nicht aber Versammlungsveranstalter*innen trifft.

  1. Drohen mir Nachteile, wenn ich als Veranstalter*in das Angebot für ein Kooperationsgespräch nicht annehme?

Nein, mir drohen keine rechtlichen Nachteile. Das stellt auch die Begründung zum neuen § 3 SächsVersG-E noch einmal klar. Beschränkende Verfügungen oder gar Verbote dürfen allein aufgrund der Gefahrenlage erlassen werden und nicht auf der Nicht-Teilnahme am Kooperationsgespräch basieren. Gleichwohl bietet das Kooperationsgespräch  auch für die Anmelder*innen die Möglichkeit, Vorbehalte, Zweifel oder Unsicherheiten auf der Seite der Versammlungsbehörde auszuräumen und dadurch die Gefahrenprognose zu präzisieren.

  1. Kann die Behörde jetzt wegen § 5 Abs. 3 SächsVersG-E selbst die Versammlungsleitung übernehmen?

Jein. Eine Pflicht zur Benennung einer Versammlungsleitung gibt es bereits jetzt (vgl. für Versammlungen in geschlossenen Räumen § 6 Abs. 1 SächsVersG, für Veranstaltungen unter freiem Himmel § 18 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 SächsVersG). Auch ist es bereits jetzt geltende Rechtslage, dass grundsätzlich der Veranstalter der Versammlung auch der Leiter ist (vgl. § 6 Abs. 2 S. 1); für Versammlungen unter freiem Himmel ist dieser in der Anmeldung anzugeben (§ 14 Abs. 2 SächsVersG). Neu ist im Gesetzentwurf also nur, dass rechtlich normiert wird, was passiert, wenn es keine*n Leiter*in gibt und sich auch in der bereits laufenden Versammlung niemand findet, der diese Aufgabe übernehmen möchte. Damit werden die Rechte der Versammlungsteilnehmenden gestärkt. Denn bisher war es mitunter gängige Praxis, dass die Sicherheitsbehörden eine Versammlung nicht starten ließen, wenn sich kein*e Leiter*in fand. Dieser Grund für die Beschränkung einer Versammlung entfällt zukünftig. Allerdings ist es weiterhin zweckdienlich, eine Versammlungsleitung zu benennen, um selbst die Hoheit über den Ablauf der Versammlung zu wahren.

Ganz generell muss hierbei angemerkt werden, dass der Grundgedanke, dass eine Versammlung zwingend eine hierarchische Leitung braucht, den Überlegungen der 50er Jahre entstammt und in sich im Kern ein illiberales Verständnis der Ausübung eines der elementaren Grundrechte unserer freheitlichen Demokratie atmet. Rechtspolitisch ist die Diskussion um die leitungslose Versammlung daher schon ein recht alter Hut, der nun auch in das sächsische Recht Eingang findet.

  1. Warum kann die Versammlungsbehörde mir künftig vorgeben, dass ich Ordner*innen einsetzen muss?

Die Verhandlungen über ein Versammlungsrecht Anfang der 1950er Jahre im Bundestag waren geprägt von den Eindrücken aus der Vorkriegszeit. Insbesondere die stark paramilitärisch geprägten und dadurch einschüchternd wirkenden Aufzüge und Versammlungen der Nationalsozialisten mit Ordnern der SA waren die Negativfolie, vor der die Erörterungen über das Versammlungsgesetz in der damals sehr jungen Bundesrepublik stattfanden. Daher wurde die Anzahl der Ordner*innen regelmäßig beschränkt – diese Regelung findet sich auch im aktuellen Versammlungsrecht noch.

In den letzten Jahrzehnten hat jedoch sukzessive eine Veränderung stattgefunden, die dem Schutz der Versammlungsfreiheit dient. Denn Ordner*innen dienen der Autonomie und Staatsferne von Versammlungen. Sie sind dafür zuständig, die Versammlungsleitung dabei zu unterstützen, die Friedlichkeit der Versammlung zu bewahren. Das verhindert, dass diese Maßnahmen durch Polizeibeamt*innen durchgeführt werden oder die Versammlung beispielsweise nicht laufen darf. Deswegen war eine solche Vorgabe, regelmäßig gestützt auf die Generalklausel des § 15 Abs. 1 SächsVersG, auch schon jetzt gängige Praxis. Mit dem Entwurf eines neuen Versammlungsgesetzes wird dies nun auf eine rechtlich saubere Grundlage gestellt.

Auch zukünftig sollen Vorgaben der Versammlungsbehörde über den Einsatz oder die Erhöhung der Zahl von Ordnungskräften nur dann möglich sein, wenn diese Vorgabe nötig ist, weil ansonsten eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu besorgen ist. Es wird demnach nicht bei jeder Versammlung der Einsatz von Ordner*innen verlangt werden. Auch dürfte es sich bei dieser Vorgabe regelmäßig um das mildeste Mittel halten, wenn andernfalls die Versammlung beschränkt werden müsste.

  1. Ist es wegen § 7 Abs. 4 VersG-E zukünftig verboten, gegen das Verbot von Versammlungen zu demonstrieren?

Nein. Hier ist es wichtig, eine terminologische Unterscheidung zu beachten: Auflösung und Verbot der Versammlung sind rechtlich nicht das gleiche. Von einer Auflösung spricht man erst dann, wenn die Versammlung bereits begonnen hat und dann einen so unfriedlichen Verlauf nimmt, dass sie beendet werden muss. Schon bisher ist es so, dass nach der Auflösung eine Ersatzversammlung an ihrer statt verboten ist. Damit soll verhindert werden, dass sich die Teilnehmer*innen zehn Meter weiter hinstellen und behaupten, dass sie eine neue Versammlung seien. Der Entwurf sieht jedoch nicht vor, dass pauschal Ersatzversammlungen für bereits im Vorhinein verbotene Versammlungen verboten sind. Denn Versammlungen, die sich beispielsweise gegen ein Versammlungsverbot (zum Beispiel durch eine Allgemeinverfügung) richten, sind regelmäßig Ausdruck der intensiven Wahrnehmung des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit.

  1. Sind Verhinderungsblockaden zukünftig verboten?

Sie bleiben, soweit sie sich um erhebliche Störungen einer anderen nicht verbotenen Versammlung handeln, verboten – das ist nichts Neues. Das Versammlungsgesetz dient dem Schutz der Durchführung von friedlichen Versammlungen. Daher gilt grundsätzlich ein Störungsverbot. Es ist Aufgabe von Polizei und Versammlungsbehörden, etwaige Störungen von Versammlungen abzuwenden – auch Blockaden. Andernfalls wäre die Durchführung einer Demonstration dem freien Spiel der Kräfte auf der Straße überlassen. Die schiere Masse könnte entscheiden, welche Versammlung stattfinden kann und welche nicht. Das wird dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gerade auch als Minderheitenrecht nicht gerecht.

Davon zu unterscheiden ist allerdings die Frage der Strafbarkeit einer Blockade. Aus einer bloßen Verbotsnorm folgt nicht zwingend, dass das verbotene Handeln auch strafrechtlich sanktioniert wird. Hier gibt es im vorliegenden Gesetzesentwurf eine wesentliche Verbesserung, denn gewaltfreie Blockaden stellen zukünftig keine Straftat mehr dar, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit. Damit liegt die Entscheidung darüber, ob die Teilnehmer*innen einer friedlichen Blockade anschließend zur Verantwortung gezogen werden, im Ermessen der Versammlungsbehörde (siehe auch Frage 14.).

Darüber  hinaus können Blockaden im Einzelfall ebenso dem grundrechtlichen Schutz der Versammlungsfreiheit unterfallen. In diesem Fall sind sie nicht als Störungen, sondern als geschützte Versammlungen zu bewerten.

  1. Warum darf die Versammlungsbehörde zukünftig anordnen, dass Waffen oder sonstige Gegenstände nicht mitgeführt werden dürfen, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder zur Herbeiführung erheblicher Schäden an Sachen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind?

Die Frage, welche Gegenstände ich als Teilnehmer*in zu einer Versammlung mitnehmen darf, ist eine sensible. Das Mitführverbot dient grundsätzlich der Friedlichkeit der Versammlung und ist daher elementar. Allerings ist zu unterscheiden zwischen Waffen und sonstigen Gegenständen, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder zur Herbeiführung erheblicher Schäden an Sachen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind. Denn was als Waffe gilt, ist durch das Waffengesetz eindeutig bestimmt, während die sonstigen Gegenstände rechtlich unbestimmt sind und ihre Einschätzung als verboten allein der zuständigen Behörde obliegt.

Bislang war das Mitführen auch dieser sonstigen Gegenstände pauschal strafbar, soweit ihre Mitführung nicht ausdrücklich durch die Versammlungsbehörde erlaubt wurde. Somit konnte potenziell jeder Gegenstand als entsprechender sonstiger Gegenstand interpretiert werden, der beispielsweise zur Verletzung von Personen geeignet scheint. Denn die Frage, ob dieser tatsächlich dazu bestimmt mitgeführt wurde, liegt regelmäßig in der Einschätzung der Sicherheitsbehörden.

Diese Rechtslage wird durch den vorliegenden Entwurf „umgedreht“: Zukünftig ist das Mitführen der sonstigen Gegenstände nur noch dann strafbar, wenn die Versammlungsbehörde zuvor konkret angeordnet hat, welche sonstigen Gegenstände von dem Verbot umfasst sind. Das bedeutet ein Mehr an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für Versammlungsteilnehmer*innen.

  1. Darf man wegen des neuen § 10 Abs. 1 VersG-E zukünftig bei Demonstrationen nicht mehr die gleiche Kleidung tragen?

Auch das Uniformverbot ist bereits geltende Rechtslage (vgl. § 3 SächsVersG), gehört zu den alten Hüten des Versammlungsrechts und resultiert aus den Erfahrungen in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Bewegungen wurde bereits damals ein Uniformverbot verhängt, das jedoch insbesondere durch die SA unterlaufen wurde – durch das kollektive Tragen weißer Hemden. Daher fand auch das Verbot des Tragens gleichartiger Kleidung Eingang in das Versammlungsrecht der frühen 50er Jahre. Jedoch setzte sich in den folgenden Jahren die Erkenntnis durch, dass auch das äußerliche Erscheinungsbild Ausdruck einer in der Versammlung kundgetanen Meinung sein kann. Dies wurde auch immer wieder durch die Rechtsprechung so entschieden. Daher kann das Verbot nicht allein durch die Kleidung begründet werden. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten: Die Art und Weise aufzutreten muss zusätzlich den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermitteln und dadurch dazu beitragen, eine einschüchternde Wirkung zu erzeugen. Ein sehr plastisches Beispiel für eine solche Situation ist der regelmäßige Aufmarsch einer rechtsextremen Kleinstpartei mit grünen T-Shirts, Trommeln und oft in Marschformation.

Auch hier gilt zudem, was bereits zum Waffenverbot dargelegt wurde: Die Behörde muss durch eine Anordnung benennen, welche Gegenstände und Verhaltensweisen von dem Verbot umfasst sind. Andernfalls kann ein Zuwiderhandeln keine Strafbarkeit begründen (die sogenannte Verwaltungsaktsakzessorietät).

  1. Warum darf die Polizei künftig Überblickaufnahmen von Versammlungen machen?

Das durfte sie wegen § 20 Abs. 2 SächsVersG auch bisher schon, es gibt durch den Entwurf für das neue Versammlungsgesetz also keine Verschlechterung, sondern sogar eine Anpassung zugunsten der Versammlungsfreiheit. Die Überblicksaufnahmen dienen – anders als die Bild- und Tonaufzeichnung – nicht der Sicherung von Beweismaterial. Sie dienen eigentlich der Lenkung und Leitung bei unüberschaubaren Großversammlungen und sollen so einen störungs- und gefahrenfreien Ablauf der Versammlung sichern. Allerdings steigt auch unserer Ansicht nach durch die zunehmende Qualität der Kameras die Gefahr, dass sich selbst bei Überblicksaufnahmen einzelne Personen identifizieren lassen. Daher ist die Zulässigkeit von Überblicksaufnahmen nicht nur an enge Tatbestandsvoraussetzungen geknüpft und muss der Versammlungsleitung angezeigt werden. Die Aufnahmen dürfen darüber hinaus auch nicht aufgezeichnet oder an andere Empfänger übertragen werden.

  1. Warum können Ordnungskräfte abgelehnt werden, wenn gegen sie noch ein Ermittlungsverfahren läuft?

Ordnungskräfte sollen auf eine friedliche Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit hinwirken und damit die Selbstorganisation ermöglichen. Ihnen kommt daher eine bedeutsame Rolle zu, die erhöhte Anforderungen an ihre Person rechtfertigen. Deswegen erfolgte auch bisher schon, insbesondere bei Demonstrationen von Rechtsextremen, regelmäßig die Ablehnung von Ordner*innen durch die Polizei, wenn diese beispielsweise vorbestraft waren. Diese wurden jedoch auf die Generalklausel gestützt mit dem Verweis darauf, dass es sich um eine Minus-Maßnahme zu Verbot oder beschränkende Verfügung handeln würde. Die neue Regelung in dem Entwurf bietet auch diesbezüglich mehr Klarheit und damit Rechtssicherheit für die Versammlungsteilnehmenden.

Trotzdem dürfte diese Regelung in der aktuellen Fassung eine überschießende Tendenz haben, vor allem soweit sie noch nicht abgeschlossene Ermittlungsverfahren betrifft – insbesondere im Hinblick auf die im Nachgang zum sogenannten „Tag X“ am 03. Juni in Leipzig eingeleiteten massenhaften Ermittlungsverfahren. Daher sehen wir für dierse Norm noch gewichtigen Überarbeitungsbedarf, spätestens im parlamentarischen Verfahren.

  1. Gibt es im neuen Gesetz ein pauschales Verbot für alle Vermummungen ohne Ausnahme?

Versammlungen entspringen der Idee, für ein Anliegen „Gesicht zu zeigen“. Deswegen sind auch schon aufgrund der derzeit geltenden Rechtslage Vermummungen verboten, wenngleich die Behörde Ausnahmen zulassen konnte. Der Passus mit der Ausnahme findet sich in dem Referentenentwurf nicht mehr, was für einige Irritationen gesorgt hat. Das liegt jedoch nicht daran, dass diese zukünftig nicht mehr zugelassen werden sollen, sondern auch hier an einer umgekehrten Rechtslage: Ein Verstoß gegen das Verbot ist nur dann sanktionsbewährt, wenn die zuständige Behörde zuvor mittels einer Anordnung konkretisiert hat, welche Gegenstände zur Identitätsverhüllung von dem Verbot umfasst sind (siehe 9.). Wenn die Versammlungsbehörde anordnen muss, was verboten ist, gilt, dass alles andere erlaubt ist und es somit keiner Ausnahmen vom Verbot mehr bedarf. Die Neuregelung stärkt somit die Rechte der Versammlungsteilnehmer*innen erheblich.

Wie auch schon jetzt gilt zukünftig: Vermummungen sind nur dann verboten, wenn aus den Umständen der Vermummung zu schließen ist, dass diese der Verhinderung der Identitätsfeststellung dient. Das bedeutet, dass ein pauschales Verbot von beispielsweise FFP2- oder Puppy-Masken von der Rechtsgrundlage nicht abgedeckt ist, sondern diese weiter zulässig sind.

  1. Was bringt es, dass es jetzt weniger Straftatbestände, aber dafür mehr Ordnungswidrigkeiten gibt?

Eine Verschiebung von Straftatbeständen hin zu Ordnungswidrigkeiten verändert die Sanktionsdynamik im Versammlungsrecht erheblich. Denn während beim Verdacht des Vorliegens einer Straftat grundsätzlich durch die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss (Legalitätsgrundsatz), gilt das bei Ordnungswidrigkeiten nicht. Hier kann die zuständige Behörde im eigenen Ermessen entscheiden, ob sie die Tat verfolgen will oder nicht. Auch in der Rechtsfolge gibt es wesentliche Unterschiede: Während Ordnungswidrigkeiten nur ein Bußgeld nach sich ziehen können, kann es im Strafverfahren auch zu Freiheitsstrafen kommen. Zudem erfolgt bei Ordnungswidrigkeiten keine Eintragung in das Bundeszentralregister oder eine Auflistung im Führungszeugnis.

Die elementare Bedeutung, die das Versammlungsrecht für eine freiheitliche Gesellschaft hat, rechtfertigt unseres Erachtens, dass bestimmte Handlungen strafbewährt sind. Das gilt vor allem dann, wenn Gewalt angewendet oder angedroht wird oder die Versammlung so durchgeführt wird, dass sie einen militanten Charakter bekommt und damit einschüchternde Wirkung erzeugen kann. Denn die Versammlungsfreiheit schützt die öffentliche und kollektive Meinungskundgabe, nicht aber die Einschüchterung oder Verächtlichmachung von Mitmenschen.

Ein großer Fortschritt für ein liberales Versammlungsrecht ist es, dass es zukünftig keine Straftat mehr darstellt, eine Versammlung ohne die erforderliche Anzeige zu veranstalten. Und eine Versammlung wesentlich anders durchzuführen, als in der Anzeige angegeben oder einer vollziehbaren Beschränkung nicht nachzukommen, soll nur noch dann eine Straftat sein, wenn der*die Leiter*in damit eine umittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit verursacht. Diese Entkriminalisierung im Versammlungsrecht ist ein großer bürgerrechtlicher Fortschritt.

3 Comments

  1. Yo 7. März 2024 at 11:41 - Reply

    Versammlungen entspringen der Idee, für ein Anliegen „Gesicht zu zeigen“? Nein. Versammlungen sind demokratische Maßnahmen oder Vorgänge in einer Demokratie, um eine Meinung oder Haltung im öffentlichen Raum sichtbar zu machen! Dass der Staat dabei generell jede Person überwachen können muss entspringt einem totalitären Gedanken, und der Haltung, die Bevölkerung bürge grundsätzlich ein Gefährdungspotential. Eine faschistoide Haltung. Wenn der Staat sich in die falsche Richtung entwickelt (z.b. nach rechts) dann ist es extrem wichtig auch anonym demonstrieren zu können! Die potentielle Gefahr geht eher vom Staat aus, als von der Bevölkerung! Ich empfehle ein Geschichtsbuch.
    Dennoch danke für den Artikel.

  2. Julia 4. April 2024 at 16:22 - Reply

    Nr. 10 „Die Art und Weise aufzutreten muss zusätzlich den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermitteln und dadurch dazu beitragen, eine einschüchternde Wirkung zu erzeugen.“
    Sie meinen die Antifa? Selbst als Mitte/Linke schüchtern die mich ein! Und bei dem Satz von „Yo“ mit dem „totalitären Gedanken des Staats“ gehe ich mit, aber nicht nur, weil der Staat nach rechts kippt, sondern aktuell extrem nach links! Auch hier kann ich Geschichtsbücher empfehlen zum totalitären Sozialismus/Kommunismus!

  3. EU 26. Juni 2024 at 9:17 - Reply

    Am 30. Januar 2024 bezeichnete eine Rednerin der Initiative „Eltern gegen Polizeigewalt“ auf der Demonstration gegen Rechts in Leipzig die Ampelparteien als „faschistisch“. Junge Leute jubelten.
    Die AfD jubelt nach dem 5. Juni 2024 über ihre Wahlergebnisse.
    Auch die „Antifa“ hat ihnen dazu verholfen. Danke den Linksradikalen.

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