Was bedeutet das neue Polizeigesetz für Sachsen?

Am 10. April 2019 hat der Sächsische Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD das neue sächsische Polizeirecht beschlossen. Der Beschluss erfolgte trotz des massiven Protests eines breiten Bünd –
nisses aus vielen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Parteien gegen die geplanten Verschärfungen und ohne den Nachweis, dass die neuen Polizeibefugnisse die Sicherheit der Menschen in Sachsen verbessern. Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken aus Wissenschaft und Praxis wurden beiseitegewischt.

Auf Grundlage des neuen Polizeirechts erhält Sachsens Polizei zahlreiche Möglichkeiten, Bürgerinnen und Bürger zu überwachen. Die neuen Befugnisse reichen weit in das Vorfeld konkreter Gefahren hinein. Schon ohne den Verdacht, dass überhaupt eine Straftat begangen wurde, darf die Polizei nunmehr die Telekommunikation überwachen. Sie hat Zugriff auf Daten der Personen, die Diensteanbieter für Telemedien und Telekommunikation nutzen. Menschen dürfen zur gezielten Kontrolle ausgeschrieben oder ihnen Aufenthalts- oder Kontaktverbote auferlegt werden. Die Fußfessel wird eingeführt und kann künftig
sog. Gefährderinnen und Gefährdern angelegt werden. Dafür reicht es, dass die Polizei es für möglich erachtet, dass diese in naher Zukunft eine terroristische Straftat begehen könnten. Sie kann aber auch zur Kontrolle von Aufenthaltsanordnungen oder Kontaktverboten eingesetzt werden. Im 30-Kilometer-Grenzbereich dürfen nunmehr neben dem Einsatz der Schleierfahndung, d.h. der Kontrolle von Personen und Sachen ohne konkreten Anlass, und der automatisierten Kennzeichenerfassung auch Personen mithilfe von Gesichtserkennungssystemen erfasst werden. Das Leben und der Aufenthalt im grenznahen Bereich wird damit einer besonders starken Überwachung ausgesetzt sein. Zudem werden die Regelungen zur Datenerhebung und -nutzung ausgeweitet. Außerdem dürfen Spezialeinheiten der Polizei künftig Handgranaten und Maschinengewehre einsetzen.

Das neue Polizeirecht geht zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger und ist ein Frontalangriff auf die Bürgerrechte. Gerade die neuen Befugnisse zur Videoüberwachung, zur Gesichtserkennung und Kennzeichenerfassung betreff en keine Einzelnen, sondern eine Vielzahl von Personen – es sind Instrumente der Massenüberwachung. Mit den Befugnissen zur Überwachung der Kommunikation wird tief in die Privatsphäre der Menschen in Sachsen eingegriffen. Diese Eingriffe erfolgen, ähnlich wie bei Geheimdiensten, heimlich und sind daher besonders belastend.

Moderne Mittel der Kontrolle der Polizeiarbeit, wie eine Kennzeichnung der Polizeibediensteten zur besseren Identifi zierung oder eine wirklich unabhängige Beschwerdestelle enthält das Gesetz nicht.

Das neue Polizeirecht soll Ende des Jahres in Kraft treten. Bis dahin werden die sächsischen Polizei bediensteten in den neuen Vorschriften geschult. Die Abgeordneten der GRÜNEN-Fraktion werden zusammen mit den Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE dieses Gesetz vom Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten der Sächsischen Verfassung überprüfen lassen.

Das neue Polizeigesetz in Sachsen kurz erklärt

Per Klick auf die Bilder gelangen Sie zu kurzen Videos auf Facebook, die wesentliche Inhalte des sächsischen Polizeigesetzes erklären.

Fußfessel

Fußfessel

Grenzraum Überwachung

Messengerdienste

Militarisierung

Videoüberwachung

Eine umfassendere Übersicht über die Neuerungen des Referentenentwurfes finden Sie hier:

» Fact Sheet: Vorläufige Einschätzung zum Referentenentwurf des neuen sächsischen Polizeirechts (22. August 2018) 

» Gesetzentwurf der Staatsregierung ‚Gesetz zur Neustrukturierung des Polizeirechtes des Freistaates Sachsen‘ (Drs 6/14791)

Pressemitteilungen:

» 18.04.2018: Entwurf neuer Polizeigesetze: Frontalangriff auf Bürgerrechte

» 24.04.2018: Die geplante Verschärfung des Polizeigesetzes wird Thema am Donnerstag im Landtag

» 17.08.2018: Koalitionsverhandlungen zum Polizeigesetz: Grundrechte sind nicht verhandelbar

» 18.09.2018: Das neue Polizeigesetz ist ein massiver Angriff auf die Bürgerrechte und eines Freistaates unwürdig

» 12.11.2018: Nach der Polizei-Anhörung: Dieser Entwurf darf den Landtag nicht passieren

» 15.01.2019: Ausbau der Kfz-Kennzeichenüberwachung? − Grundrechtseingriffe stehen in keinem Verhältnis zum Ermittlungserfolg

» 05.02.2019: BVerfG-Beschluss zu automatisierter Kennzeichenkontrolle – Entwurf zum neuen Polizeigesetz in Sachsen muss sofort zurückgezogen werden

» 08.02.2019: Entwurf Polizeigesetz/Bodycams – Der Kompromiss ist ein Treppenwitz – Die SPD hat sich über den Tisch ziehen lassen

» 14.02.2019: Polizeigesetz/Anhörung zu Bodycam-Regelungen beschlossen – Weitere Neuerungen werden nicht angehört – Das ist kein guter parlamentarischer Stil

» 12.03.2019: Einführung der Bodycam in Sachsen?: Geplante rechtliche Lösung ist nicht grundrechtsfreundlich und schafft damit keinen Mehrwert für die Bürgerrechte

» 03.04.2019: Polizeiliche Kriminalitätsstatistik 2018 – Für die Sicherheit in Sachsen braucht es KEIN schärferes Polizeigesetz

Reden:

» 71. Sitzung des Sächsischen Landtags, Donnerstag, 26. April, TOP 11: ‚Ausverkauf der Bürgerrechte als Preis für die Sicherheit? Transparenz über geplante Grundrechtseingriffe herstellen – Märchen von der Notwendigkeit der Verschärfung von Sicherheitsgesetzen beenden‘ (Drs 6/8620)

» 84. Sitzung des Sächsischen Landtags, Donnerstag, 13. Dezember, TOP 10: ‚Haushaltsdebatte Innenpolitik − Lippmann: Der Haushalt bleibt ein halbherziges Unterfangen, denn Sie ignorieren die wesentlichen Herausforderungen!‘

» 90. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 10. April, TOP 7: ‚Polizeigesetz – Lippmann: Wer die ursprüngliche Idee des Rechtstaates ernst nimmt, kann einem solchen Polizeigesetz nicht zustimmen‘

Anträge:

» GRÜNER Antrag Ausverkauf der Bürgerrechte als Preis für die Sicherheit? Transparenz über geplante Grundrechtseingriffe herstellen – Märchen von der Notwendigkeit der Verschärfung von Sicherheitsgesetzen beenden

Was halten die GRÜNEN davon?

Bereits vor der Einbringung des Gesetzentwurfs hat die GRÜNE Landtagsfraktion mit dem Positionspapier „Rechtsstaat schützen, Bürgerrechte verteidigen, Sicherheit gewährleisten“ den geplanten Verschärfungen des Sächsischen Polizeigesetzes eine klare Absage erteilt. Wenn der sächsischen Innenminister von einer „Harmonisierung“ der Polizeigesetze der Länder spricht, meint er eigentlich die Maximierung der Eingriffsbefugnisse der sächsischen Polizei nach dem Motto „Alles was geht und davon das Schärfste“. Gegen die Ausweitung heimlicher Überwachungsmöglichkeiten der Polizei sprechen nicht nur grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken, da mit ihnen schwere Grundrechtseingriffe einhergehen, sondern auch praktische Erwägungen und die Tatsache, dass die Sicherheitsgesetze in Deutschland seit 2001 immer nur verschärft, nie aber auf ihre Wirksamkeit hin untersucht wurden. Fakt ist auch, dass bei der Aufarbeitung des Falls Albakrs oder des Attentäters von Berlin keine Regelungs- sondern Vollzugsdefizite zu Tage getreten sind. Die sächsische Polizei besitzt bereits alle wirksamen Instrumente zur Verbrechensbekämpfung, sie muss sie nur anwenden (können).
Das Positionspapier schließt mit konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der Sicherheit aller Bürgerinnen und Bürger in Sachsen.  Eine verbesserte Sicherheitslage und ein besseres Sicherheitsgefühl erreichen wir in erster Linie durch mehr gut ausgebildete Polizeibedienstete, die die ihre zur Verfügung stehenden Befugnisse sinnvoll aber mit rechtsstaatlichem Augenmaß nutzt. Wir setzen aber auch auf stärkere Prävention.

» Hier finden Sie unser Positionspapier (Stand: April 2017)

Valentin Lippmann
Valentin LippmannInnenpolitischer Sprecher