NSU Untersuchungsausschüsse im Sächsischen Landtag

Die im November 2011 bekanntgewordene abscheuliche Mordserie an acht türkischstämmigen Geschäftsleuten, einem Griechen und einer Polizistin hat ganz Deutschland aufgerüttelt.

Die Morde gingen mutmaßlich auf das Konto dreier Rechtsterroristen aus Jena, die sich seit ihrem Untertauchen im Jahr 1998 in Sachsen aufhielten. Sie lebten in Chemnitz und Zwickau mitten unter uns. Von hier aus planten sie Banküberfälle und rassistisch motivierte Morde. Sie wurden dabei von hier lebenden, dem sächsischen Verfassungsschutz bekannten Neonazis unterstützt.

Wie das unter den Augen sächsischer Behörden möglich war, untersuchte der NSU Untersuchungsausschuss im Sächsischen Landtag.

Livestream „10 Jahre Selbstenttarnung des NSU – Alles aufgearbeitet?“

Am 2. November fand eine Livestream-Veranstaltung mit Valentin Lippmann, Miro Jennerjahn, Gül Pinar und Jörg Buschmann (moderiert von Bastian Wierzioch) zum 10. Jahrestag der Selbstenttarnung des NSU statt. Die Online-Diskussion können Sie sich hier noch einmal anschauen.

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Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss

Anknüpfend an den NSU-Untersuchungsausschuss der vergangenen Wahlperiode, der ab 2012 auf Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und SPD das Versagen sächsischer Behörden bei der Aufklärung der Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrundes – NSU“ untersuchte, haben die Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE am 25. März 2015 einen Dringlichen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschuss „Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen“ eingereicht. Die Koalitionsfraktionen von CDU und SPD konnten sich diesem Untersuchungsauftrag leider nicht anschließen.

» Einsetzungsantrag für den NSU-Untersuchungsausschuss

Wir BÜNDNISGRÜNEN hielten die Wiedereinsetzung eines Untersuchungsausschusses für notwendig und geboten. Wie bereits in der 5. Legislatur stellte sich uns die Frage, wie es möglich sein konnte, dass drei gesuchte Neonazis vor den Augen der sächsischen Behörden untertauchten und Sachsen über zehn Jahre als Rückzugs- und Ruheraum nutzen konnten. Der NSU-Ausschuss aus der 5. Legislatur konnte diese Frage nicht abschließend beantworten.
Der Antrag aus der 6. Legislatur orientierte sich am Auftrag des vorangegangenen Untersuchungsausschusses. Es bestand bei der Vorlage des Anschlussberichtes Einigkeit, dass der Untersuchungsauftrag nicht vollständig bewältigt werden konnte. Die zu untersuchenden acht Themenkomplexe konnten nur unzureichend behandelt werden, drei davon gar nicht. Von zwölf Sachverständigen und 120 verlangten Zeugen wurden nur sechs Sachverständige und 34 Zeugen gehört.

Zusätzlich sollte sich der Untersuchungsausschuss aus der 6. Wahlperiode auch mit der Frage des Umgangs mit dem NSU-Komplex nach dem Bekanntwerden der Verbrechen beschäftigen. In den Fokus gehörte für uns BÜNDNISGRÜNE die Frage, inwieweit sächsische Behörden dazu beigetragen haben, dass sich die Aufklärung der Verbrechen des NSU und des behördlichen Agierens verzögert haben oder dies dadurch maßgeblich erschwert wurde. Prominentestes Beispiel ist hier sicherlich die Frage der Aktenvernichtungen im Landesamt für Verfassungsschutz. Aber es stellte sich auch die generelle Frage, ob Akten zurückgehalten wurden.

Mit dem NSU-Ausschuss wollten wir BÜNDNISGRÜNE auch einen Gleichklang mit den eingesetzten Untersuchungsausschüssen in den anderen Bundesländern herstellen. Der Landtag in Thüringen hatte den Ausschuss wieder eingesetzt, ebenso der Bundestag. Mit Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen gab es auch Ausschüsse in Bundesländern, in denen direkt nach Bekanntwerden des NSU kein Ausschuss eingesetzt wurde.

Nicht zuletzt sind wir es den Opfern und deren Angehörigen schuldig, dass das Versagen der staatlichen Behörden bei der Verfolgung der Terroristen umfassend aufgeklärt wird. Wir sind aber auch der sächsischen Bevölkerung und dem Rechtsstaat schuldig, dass das behördliche Agieren nach dem Bekanntwerden des NSU umfassend beleuchtet wird.

» Rede von V. Lippmann zur Einsetzung des NSU-Untersuchungsausschusses

Die Vorgeschichte zum ersten Untersuchungsausschuss

Als November 2011 bekannt wurde, dass die Morde an neun türkisch- bzw. griechischstämmigen Geschäftsleuten und einer Polizistin auf das Konto einer rechtsextremistischen Terrorzelle gingen, deren Mitglieder in Sachsen lebten, war der Schock groß. Der Sächsische Landtag gedachte in einer Landtagssitzung der Opfer und verabschiedete – einmalig einmütig – mit den Stimmen der Abgeordneten von CDU, FDP, LINKEN, SPD und GRÜNEN einen gemeinsamen Antrag. Darin sprachen sich alle demokratischen Parteien für eine umfassende Fehleranalyse aus.

Das war im November 2011. Seitdem sind immer neue Versäumnisse sächsischer Behörden bei der Verfolgung der Terrorzelle und rechtsextremer Strukturen in Sachsen öffentlich geworden. Der ehemalige CDU-Innenminister Markus Ulbig hat dazu weniger beigetragen als die Medien. In den Ausschusssitzungen des Sächsischen Landtags mussten ihm nicht nur die grünen Abgeordneten jede Information aus der Nase ziehen. Von Fehleranalyse bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz fehlte jede Spur. Mehr noch. In der Begründung von CDU- und FDP-Fraktion, warum sie einen Untersuchungsausschuss zu den Versäumnissen sächsischer Behörden bei der Aufklärung der Naziverbrechen nach dem Vorbild des Bundestags und des Thüringer Landtags nicht mittragen, wird unter anderem die NPD vors Loch geschoben. Die sei in einem Untersuchungsausschuss ebenfalls vertreten und das sei nicht tragbar, so Ulbig.

Noch unverblümter war der damalige Justizminister Jürgen Martens (FDP). Der meint, ein sächsischer Untersuchungsausschuss könne die nötige Aufklärung nicht leisten und verursache nur unnötig Aufwand. Dabei wurde für uns BÜNDNISGRÜNE nur eines ganz deutlich: Die Sächsische Staatsregierung will keinerlei eigene Fehler und Versäumnisse eingestehen. Doch die Zwickauer Terrorzelle hat Sachsen nun einmal als Ruhe- und Rückzugsraum genutzt. Sie hat mit von sächsischen Behörden ausgestellten Ausweisen operiert. Der sächsische Verfassungsschutz und die sächsische Polizei haben die Mitglieder der Terrorzelle und ihre Unterstützer über Jahre beobachtet und standen nicht nur einmal kurz vor einem Zugriff.

Bereits kurz nach Bekanntwerden des als „Nationalsozialistischer Untergrund“ bezeichneten Terrornetzwerkes reichte die GRÜNE Fraktion einen detaillierten Antrag zur Diskussion im Innenausschuss sowie dem Rechtsausschuss ein. In beiden Ausschüssen wurde der Antrag gegen den erklärten Willen der GRÜNEN Fraktion durch die Stimmen von CDU und FDP weg gestimmt.

» Antrag „Erkenntnisse und Versäumnisse von Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft bezüglich der ‚Zwickauer Terrorzelle‘ aufklären – rechtsextremistische Straftaten wirksam verhindern!“ (Drs. 5/7489) und Antwort der Staatsregierung

Am 7. März 2012 setzte der Sächsische Landtag mit Stimmen von GRÜNEN, LINKE und SPD dann einen Untersuchungsausschuss zur sog. NSU-Terrorzelle ein.

» Einsetzungsantrag des Untersuchungsausschusses

Dokumente zum NSU-Untersuchungsausschuss

Hier finden Sie weitere Dokumente, Gutachten und Stellungnahmen zum Untersuchungsausschuss „Neonazistische Netzwerke in Sachsen“:

» Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung des „Zwickauer Trios“ von Gerhard Schäfer (14.5.2012)

» Abschlussbericht zur Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission im Zusammenhang mit dem NSU (22.6.2012)

» Vorläufiger Abschlussbericht des Sächsischen Staatsministeriums des Innern zum Fallkomplex „Nationalsozialistischer Untergrund“ (25.6.2012)

» Stellungnahme für den 3. Untersuchungsausschuss des 5. Sächsischen Landtags von Prof. Dr. Christoph Gusy (Bielefeld) (Januar 2012)

» Einstellung der Ermittlungen gegen Reinhardt Boos, Olaf Vahrenholdt u.a. wegen Verwahrungsbruch (Antwortschreiben der Staatsanwaltschaft Drersden, September 2012)

» Strafanzeige gegen Reinhardt Boos, Dr. Olaf Vahrenhold u.a. wegen Verwahrungsbruch durch den GRÜNEN-Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi (24. Juli 2012)

» Bericht über die Sonderermittlungen im Geschäftsbereich des Senators für Inneres und Sport in Berlin im Zusammenhang mit der Aufklärung der Taten der Terrorgruppierung „NSU“ des Oberstaatsanwalts Feuerberg (Dezember 2012)

» Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten zur Aktenvernichtung im Landesamt für Verfassungsschutz in den Jahren 2011 und 2012 (21.1.2013)

» Zweiter Zwischenbericht der Bund-Länder Expertenkommission Rechtsterrorismus (27.11.2012)

» Bericht über die Untersuchung und Evaluierung der Arbeitsabläufe und -strukturen des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen unter besonderer Betrachtung der Ereignisse im Zusammenhang mit dem sog. „Nationalsozialistischen Untergrund“ der Kommission zur Neuordnung des Verfassungsschutzes (20.2.2013)

» Zwischenbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses zu möglichem Fehlverhalten der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden, einschließlich der zuständigen Ministerien unter Einschluss der politischen Leitungen, sowie der mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeitenden Personen (7.3.2013)

» Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus (30.4.2013)

» GRÜNE Zwischenbilanz nach einem Jahr NSU-Untersuchungsschuss in Sachsen (1.3.2013)

» Strafanzeige gegen Reinhard Boos und Dr. Olaf Vahrenhold wegen des Verdachts falscher uneidlicher Aussage durch die GRÜNEN Landtagsabgeordneten Miro Jennerjahn und Johannes Lichdi (24.6.2013)

» Bericht zu den Bezügen des NSU nach Baden-Württemberg (31.1.2014)

» Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages (22.8.2013)

» Abweichender Bericht der Fraktionen GRÜNE, Linke und SPD zum NSU-Untersuchungsausschuss (7.7.2014)

Kleine Anfragen

Folgende Kleine Anfragen wurden durch GRÜNE Abgeordnete bisher eingereicht:

» Abordnungen vom Landesamt für Verfassungsschutz an zuständiges Fachreferat (Drs 5/13324)

» Überprüfung von Altfällen auf politisch rechte Tatmotivation oder Bezug zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (Drs 5/13323)

» V-Personen-Führung nach Umsetzung der Empfehlungen der Expertenkommission zu Verfassungsschutz (Drs 5/13231)

» G10-Maßnahmen des Landesamtes für Verfassungsschutz (Drs 5/12080)

» Unverzügliche mündliche oder schriftliche Berichte des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) (Drs 5/11344)

» Verdeckte Ermittlungsmaßnahmen etc. an den Aufenthaltsorten des Zwickauer Terrortrios (Drs. 5/11006)

» Outlaw Motorcycle Gangs im Freistaat Sachsen (Drs. 5/10994)

» Nachfragen zur Infoveranstaltung der BAO Bosporus in Sachsen (Drs. 5/10993)

» Personelle Ausstattung der SOKO REX seit Gründung (Drs. 5/10992)

» V-Personen beim Sächsischen Landeskriminalamt und Landesamt für Verfassungsschutz (Drs. 5/10991)

» Monatliche Lageberichte des Landesamtes für Verfassungsschutz (Drs. 5/10990)

» Gemeinsame Dateien zwischen Polizei und Nachrichtendiensten (Drs. 5/10942)

» Rechtsextremismus-Datei (Drs. 5/10941)

» Waffenrechtliche Zuverlässigkeit von Rechtsextremen – Nachfrage zu Drs. 5/9656 (Drs. 5/10919)

» Waffenrecht: Rechtsextreme mit Waffenschein (Drs. 5/10918)

» Waffenrechtliche Zuverlässigkeit von V-Leuten (Drs. 5/10917)

» Rechtsextremistische Straftaten in Sachsen seit 1999 (Drs. 5/10573)

» Zugriffe auf die Fahndungsseiten des BKA im Jahr 2006/2007 (Drs. 5/10484)

» Disziplinarverfahren gegen MitarbeiterInnen des LfV (Drs. 5/10412)

» G10-Maßnahmen des LfV im Zusammenhang mit dem NSU (Drs. 5/10403)

» Aktenvernichtung im Landesamt für Verfassungsschutz vom 4. November 2011 bis 19. Juni 2012 (Drs. 5/10378)

» V-Personen beim Sächsischen Landeskriminalamt (Drs. 5/10299)

» Anlaßbezogene Sicherheitsüberprüfungen sächsischer Beamter (Drs. 5/10298)

» Keine zentrale Ermittlungsstelle für Informationen zum NSU (Drs. 5/10297)

» „Rücktritt“ des LfV-Präsidenten Boos: Disziplinarverfahren gegen MitarbeiterInnen des Landesamtes für Verfassungsschutz (Drs. 5/9794)

» Erkenntnisse der Staatsregierung zur Aktenvernichtung im Landesamt für Verfassungsschutz (Drs. 5/9773)

» Maßnahmen aufgrund der Aktenvernichtung im Landesamt für Verfassungsschutz (Drs. 5/9772)

» Waffenscheininhaber der rechtsextremen Szene (Drs. 5/9656)

» Waffenfunde in Sachsen mit vermuteten rechtsterroristischem Hintergrund in Sachsen (Drs. 5/9652)

Valentin Lippmann
Valentin Lippmann
Sprecher zum Themenbereich Rechtsextremismus

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